Karlas Umweg: Roman (German Edition)
ihm zu, damit er nicht hörte, was wir sprachen.
»Aber natürlich gönnen wir es dir, wenn du glücklich bist, Marie«, sagte ich so einfühlsam, wie es mir möglich war. »Wir sonnen uns in deinem Glück wie Gänseblümchen im Schatten einer Rose!«
»Na, du vielleicht, aber Edwin nicht«, heulte Marie.
»Edwin kann es nicht verwinden, dass du diesen Robert mit an den Bahnhof gebracht hast«, sagte ich tadelnd. »Das wäre vielleicht nicht nötig gewesen.«
»Was bildet Edwin sich eigentlich ein?«, brauste Marie auf. »Hat er vielleicht ein Recht auf mich?«
»Natürlich nicht. Aber er liebt dich. Und das weißt du.«
»Edwin ist kein MANN! Aber Robert ist ein MANN!«, begehrte Marie auf. »Er will mich heiraten!«
Ich überlegte ein bisschen. Klar, dass jeder zweite Mann Marie heiraten will. Schon aus optischen Gründen. Was diesem Robert fehlte, war eine vor Temperament und Charme nur so sprudelnde Frau wie Marie, die ab und zu mal eine Blumenvase gegen den Spiegel warf.
»Wieso ist Robert ein Mann und Edwin nicht? Das musst du mir mal erklären.« Beide nämlich entbehren völlig dem umwerfenden Reiz des Männlichen, wie zum Beispiel Willem ihn hat. Steige da noch einer durch.
»Na ja, er hat so viel Kultur und er lebt so naturverbunden und stilvoll, dass er eine echte Ente hält. In einem naturbelassenen Biotop. Im Garten.« Ihr Gesicht hellte sich auf. »Und jetzt will Robert eine zweite Ente anschaffen, damit das Pärchen dann Eier legt, und im nächsten Frühjahr schlüpfen sie dann aus und er hat lauter kleine gelbe, süße Küken im Garten herumlaufen …«
»Und seine Frau?«, unterbrach ich ihr kindliches Schwärmen für Robert.
»Die ist in Japan und macht Zen-Buddhismus.«
»Und Edwin?«, fragte ich, nur der guten Ordnung halber.
»Edwin ist ein Warmduscher.«
Nun sind wir hier in Osnabrück. Ich sitze in der Rezeption und warte auf die Zimmerschlüssel. Marie ist in den Konzertsaal rübergegangen, üben. Mit dem Warmduscher.
Diesmal war das Hotelmanagement nicht auf einen Mann mit zwei Frauen eingestellt: es gab nur ein Doppel- und ein Einzelzimmer. Da Marie und Echtwein in der Probe waren, habe ich eigenmächtig entschieden, dass Marie und ich in das Doppelzimmer gehen und Echtwein in das Einzelzimmer. Ich konnte doch nicht Marie mit einem Warmduscher in das Doppelzimmer stecken! Oder? Als die beiden wiederkamen, waren sie jedoch ganz und gar nicht einverstanden mit der Zimmeraufteilung. Marie sagte, sie wolle wirklich jetzt ihre Ruhe haben, ob wir eigentlich begreifen würden, wie anstrengend das sei, jeden Abend einen zweistündigen Liederabend zu bestreiten, und sie beanspruchte das Einzelzimmer für sich. Da sah ich aber alt aus! Edwin warf mir einen vernichtenden Blick zu und merkte an, dass er ohne Mittagschlaf heute Abend nicht spielen könnte. Jeder von ihnen raffte einen Zimmerschlüssel an sich und verschwand. Also habe ich mich verdrückt. Meine schüchterne Frage, ob ich inzwischen etwas üben könnte, verneinte Echtwein: der Flügel müsse noch gestimmt werden, und der Klavierstimmer käme am Nachmittag.
Ich ging also durch den eiskalten trostlosen Ort und dachte nach. Damals, so gegen die Jahrhundertwende, war es bestimmt üblich, dass feine Herrschaften mit ihrer Zofe reisten. Aber die hatte wenigstens ein Bett oder ein Lager auf Heu und auf Stroh. Schließlich ist Marie hier die Hauptperson. Ich brachte Maries Abendkleid in die Reinigung – es sah von der Übernachtung bei Robert doch etwas mitgenommen aus – und wartete dann eine Stunde dort, um es gleich wieder mitzunehmen. Ehrlich gesagt war ich froh, in einer wohl riechenden, warmen Reinigung sitzen zu dürfen, wo mich niemand wegscheuchen konnte. Danach klopfte ich vorsichtig an das Einzelzimmer, das Marie für sich beansprucht hatte. Von Marie keine Spur. Das Bett war nicht benutzt. Ihr Koffer war nicht ausgepackt. Ich erledigte das für sie. Sie hat wunderbares Schminkzeug. Vorsichtig öffnete ich ihre Beauty-Box aus echtem Krokodilleder, die unzählige Tübchen, Döschen und Gläschen enthielt, auch Pinsel und Stifte jeglicher Farbe. Es roch nach allen Düften des Vorderen Orients. Alles sah so fein und appetitlich aus. Weil ich sonst nichts mit mir anzufangen wusste, öffnete ich einige Tübchen und Döschen und probierte deren Inhalt auf meinem Gesicht aus. Es war wunderbar, so in aller Stille mit der Beauty-Box herumzuspielen und mir vorzustellen, einmal so hübsch und bezaubernd auszusehen wie Marie!
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