Karlas Umweg: Roman (German Edition)
gläserne Augen, wurde rot und fing an zu flöten: »Nein, ich bin im Augenblick nicht allein, aber gleich!«
Taktvoll verzog ich mich. Im Flur ging ich mit Maximilian auf und ab, der seine Wurst in Windeseile in verschiedene sich bietende Öffnungen steckte: Steckdose, Stehlampe, Kapuze an der Garderobe und Blumenvase. Da ich nicht die Kraft hatte, ihn daran zu hindern, ließ er fröhlich grinsend die Wurst in der Blumenvase verschwinden.
Ich musste Frau Perl unbedingt Bescheid sagen, dass sie bei Gelegenheit die Vase säubert, dachte ich und ging mit Maximilian weiter. Der reckte sich mit aller Kraft nach der Vase und brüllte beleidigt: »Daaa!«
»Jaa«, schraubte ich meinen mühsam erarbeiteten Wortschatz auf ein Minimum zurück, »daa, Wurst, weg!«
Maximilian warf sich brüllend nach hinten und ich konnte den Entrüsteten kaum noch halten. Erschöpft setzte ich ihn auf den Fußboden. Er ließ sich sofort fallen und knallte mit dem Schädel auf den Marmorboden. Ohrenbetäubendes Wehgeschrei. Marie kam jedoch nicht aus dem Wohnzimmer geschossen, sondern telefonierte gurrend weiter.
Schuldbewusst hob ich das Kind auf, drückte es an mich, wiegte es und rieb meine Wange an seiner Wange. Der brüllende Kerl stank nach Würstchen mit Senf. Er strampelte mit den Beinen und schlug nach mir.
»Maximilian, nein«, fauchte ich, aber das Kind erklärte befriedigt: »Da!« Dann wendete es sich wieder der Vase zu, aus der Knackwurstdüfte strömten, und mir blieb nichts anderes übrig, als die inzwischen ungenießbare Wurst aus der Vase zu schütteln. Sie fiel neben den Schirmständer.
Drinnen hörten wir Marie in den Telefonhörer turteln. Sie kicherte und alberte herum, sang dann ein paar Takte, lachte. Dann klirrte das Sherryglas. Das konnte dauern. Aber wir hatten ja eine sinnvolle Beschäftigung, Maximilian und ich.
Es fielen noch eine Menge Dinge aus der Vase: ein Kugelschreiber, ein altes Brötchen, eine Schuhbürste, eine angebissene Frikadelle und ein Terminkalender aus dem Jahr 1984. Maximilian war erfreut, seinem Entdeckungsdrang folgen zu dürfen. Er verzehrte zuerst die steinharte Frikadelle, bevor er in den Terminkalender biss. Ein entzückendes Kind, wirklich. Mama würde sagen, es ist drollig.
Das war es dann mit dem Üben. Sitze bei minus drei Grad mit Maximilian im Park. Er schläft.
Marie kam aus dem Wohnzimmer, mit glänzenden Augen und nicht zu bremsendem Mitteilungsdrang. »Sie haben angebissen!«, jubelte sie und schickte ihrem Spiegelbild eine Kusshand.
»Wer hat angebissen?«, fragte ich und versuchte, Maximilian den Schirmständer aus dem Mund zu ziehen.
»Die Konzertagentur Paulsen!«
»Ja, und jetzt?«
»Sofort muss ich da Vorsingen«, rief Marie aufgeregt.
»Wann, sofort? Heute noch?«
»Nein, morgen Nachmittag um vier habe ich einen Termin. Mit Edwin. Er hat mich gerade angerufen.« Sie küsste ihr Sherryglas.
»Toll, Marie«, schrie ich gegen das Gebrüll von Maximilian an, »großartig, ich gratuliere dir.«
»Bleibst du derweil bei Max?«, fragte Marie. Es schien nicht so, als würde sie eine andere Antwort erwarten, als ich sie prompt gab: »Ist doch klar, mach dir keine Sorgen! Wir verstehen uns bestens, nicht wahr. Maxilein!« Das meinte ich auch ganz ehrlich und warmherzig. Schließlich ist Maries Erfolg wohl verdient. Sie kann sich freuen wie ein Kind. Man muss sich einfach mit freuen. Natürlich passe ich auf das Kind auf. Wäre doch gelacht, wenn dieser Paulsen nicht morgen um 16 Uhr eine bestechend gute Marie in seinem Studio hätte! Marie drehte sich zweimal um ihre eigene Achse.
»Was ziehe ich an, Gott, sag doch bloß, was ziehe ich denn nur an!«
Da sie mit Gott sprach und nicht mit mir, äußerte ich mich nicht dazu. Es hätte uns ohnehin nicht weitergebracht, denn Maximilian schrie, weil er am Schirmständer weiter essen wollte, und Marie hat mich in Klamotten-Angelegenheiten noch nie um Rat gefragt. Mit Recht, möchte ich sagen.
»So, jetzt müsst ihr die Mama aber schön üben lassen«, setzte Marie uns in Kenntnis. »Der Onkel Edwin kommt jeden Moment und dann suchen wir die Stücke für morgen aus. Geht schön in den Garten, oder ins Spielzimmer. Die Karla will bestimmt mal deinen großen Trecker sehen!« Diese Vermutung zielte zwar völlig ins Leere, aber ich wollte Marie in diesem Moment nicht mit unnötigen Informationen verwirren. Sie schob uns in die Halle hinaus, stolperte über den Unrat, der dort sinnlos herumlag, kickte den alten Terminkalender
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