Karlas Umweg: Roman (German Edition)
in die Ecke und sagte launig: »Das räumt Frau Perl morgen alles auf.« Damit verschwand sie im Musikzimmer und ich hörte sie aufgekratzt trällern. Merkwürdigerweise knallte dann ein Sektkorken. Kurz drauf erschien Edwin; ich sah seinen Kastenwagen auf dem Kies Vorfahren. Aber da war ich schon im Kinderzimmer und quetschte Maximilian in seinen Winterstrampelanzug. Ehrlich gesagt, riss mich der Trecker nicht vom Hocker.
Maximilian sitzt auf dem Fußboden und drischt mit einem Bauklotz auf ein Bilderbuch ein. Er will nicht, dass ich ihm daraus vorlese, von dem kleinen Hündlein, das mit dem kleinen Lämmlein fröhlich am Bache spielt, sondern er will darauf einschlagen.
Marie und Edwin sind heute Morgen weggefahren. Marie war wahnsinnig aufgeregt und steckte uns mit ihrer Hektik an.
»Die nehmen mich nie, niemals nehmen die eine Hausfrau mit Kind in ihre Agentur auf!«, rief sie und wedelte ihre frisch lackierten Fingernägel durch die Luft.
»Aber Marie! Du bist doch keine Hausfrau!«, wandte ich ein. »Und dein Kind sehen sie ja nicht!«
»Ach, du hast ja keine Ahnung! Riech mal, wie meine Finger nach Kartoffeln stinken!«
Ich schnupperte gehorsam an ihren Händen, aber sie rochen nach Handcreme und Nagellack.
»Und zum Üben bin ich überhaupt nicht gekommen gestern«, rief sie weinerlich. Als wenn das meine Schuld wäre! Ich blickte Edwin strafend an. Edwin blätterte in seinen Noten. Er war solche Ausbrüche ganz offensichtlich gewöhnt. Maximilian saß in seinen Hochstuhl gepfercht und verschlang eine Banane. Die Schale warf er auf den Boden und sagte: »Da.«
Dann betrachtete er so interessiert die am Boden liegende Schale, dass er fast mitsamt seinem Hochstuhl umgefallen wäre. Ich hob die Schale auf und legte sie auf den Tisch.
»Daaa!«, brüllte Maximilian und reckte sich danach. Mit der anderen Hand stopfte er allerdings in seinem Mund herum, wo sich noch ein Gutteil unverdauten Matsches befand. Friedfertig reichte ich Maximilian die Schale. »Da!«, sagte er befriedigt und schmiss sie wieder auf die Erde. Ich zerrte Maximilian unter Schweißausbrüchen aus dem Hochstuhl und setzte ihn neben die Schale. Er nahm sie und warf sie Edwin vor die Füße. »Da!«, sagte er. Edwin sah kurz auf und lächelte ein bisschen.
»Viel Spaß mit dem Kind«, sagte er zu mir. Dann brachen er und Marie auf. Noch in der Auffahrt hörte ich sie lamentieren: »Die nehmen mich nie, ich singe beschissen, ich bin überhaupt nicht eingesungen und die Höhe ist heute gar nicht da …«
Ich hob die Bananenschale vom Fußboden auf und warf sie dem dicken Baby hin: »Da!« Papa würde sehr bedauern, dass mein Wortschatz immer spärlicher wird.
Das Kind ist im Bett und sagt keinen Ton mehr. Habe die Sprechanlage zu mir heraufgestellt. Eigentlich müsste Willem gleich kommen. Gestern Abend war er nicht da. Das Haus war schrecklich tot und leer. Ich saß vor dem Fernseher und starrte auf sämtliche Kabelprogramme, die ein irres Hirn sich antun kann. Wie gern hätte ich auf dem weißen! Flügel! geübt, aber ich konnte doch das schlafende Kind nicht stören! Meine Beine waren schwer wie Blei und meine Arme hingen an mir wie Lehm. Dieser Maximilian schafft mich. Ich war heute vierzehn Stunden damit beschäftigt, ihn bei Laune zu halten. Wenn mir gar nichts mehr einfiel, habe ich ihn in seinen Buggy-Sack gestopft und bin mit ihm in den Park gegangen. Obwohl es unter zehn Grad kalt ist, schwitze ich pausenlos. Am schlimmsten ist das Spießrutenlaufen: »Ist der dick!«, ist noch das Harmloseste, was übellaunige frierende Passanten mir entgegenschleudern. »Gut im Futter« und »nicht unterernährt« ist schon spitzzüngiger, und die Gemeinsten fangen an, mir Vorwürfe zu machen: »Wie können Sie das Kind so mästen!« und »Der Krieg ist doch vorbei, junge Frau!« muss ich mir dann anhören. Maximilian klemmt derweil in seinem Buggy-Sack, eingepackt bis zum Nasenloch, und sieht wirklich aus wie »Der Mond ist auf gegangen«. Jetzt falle ich ins Bett. Ich kann nicht mehr. Schade, dass Willem gar nicht kommt.
Im Spielzimmer. Maximilian quetscht sein Butterbrot in die Speichen des Treckers. Ich bin schon viel zu geschafft, um ihn daran zu hindern. Heute Morgen um zwanzig vor sechs fing er an zu jammern. Ich bin also im Bademantel und meinen alten Pantoffeln runtergeschlichen, nicht ohne festzustellen, dass es im Treppenhaus nach Willem roch! Er ist also gestern Nacht doch noch nach Hause gekommen!
Maximilian war übellaunig
Weitere Kostenlose Bücher