Karlas Umweg: Roman (German Edition)
das zulassen, hat er gesagt. Und Regina hat gesagt, Gernot hat gesagt, sein Analytiker habe gesagt, sie, Regina, müsse damit fertig werden, dass Gernot jetzt lernt, zu seinen Loslass-Gefühlen zu stehen. Wo er doch gerade gelernt hat, seine Mutter loszulassen. Und seine schwierige Psyche mit Hilfe des Minigolf-Sportes umleitet in so genannte Übersprungshandlungen nach dem Motto: Der Weg ist das Ziel. Der Minigolfball ist sozusagen sein Blitzableiter, sagt Regina. Allerdings teilt Gernot seine Geheimnisse weder mit Regina noch mit seinen Minigolffreunden, sondern ausschließlich mit seinem Psychoanalytiker. Und der hat echt den Durchblick, sagt Regina. Aber das kostet! Nicht nur das ganze Geld, das Gernot und Regina so mühsam an der Musikschule verdienen – Gernot unterrichtet Klarinette und Tenorhorn – und natürlich auch Saxophon, in frivolen Phasen sogar Jazz!! –, sondern auch Energie, das kann sie mir sagen.
Gerade wieder. Eine Stunde, auf dem Flur. Kevin klimperte das Klavier zu Kleinholz. Aber das stört Regina nicht. Gestern gab’s wieder Spannungen in ihrer Beziehung, zog sie mich weinend ins Vertrauen. Wie sehr doch Gernot unter ihren Etüden leidet. Er hat auch eine Allergie gegen Tonleitern, Dreiklänge und schwarze Tasten. Aber er bemüht sich sehr. Schon mehrmals ist es ihm gelungen, minutenlang im Raum zu bleiben, wenn sie gespielt hat. Echt feinsinnig, der Mann, und so tolerant. Jedenfalls ist Regina um ihre Beziehung echt zu beneiden. Sie wollen ja auch ganz bald heiraten. Vielleicht kriegt sie dann viele Allergie-befallene Kinder und kann hier nicht mehr unterrichten. Das wäre schön.
Der Direktor, dessen Geburtstags-Buschwindröschen inzwischen in meinem Unterrichtszimmer vor sich hin welken, hat mich in sein Büro gebeten. »Fräulein Umweg!«, hat er mich begrüßt, »ich hätte da vielleicht etwas Interessantes für Sie!«
Nun mag ich es nicht besonders, wenn mich einer »Fräulein« nennt, und möchte immer mit Goethe antworten, »bin weder Fräulein, weder schön«, aber er hat ja nicht behauptet, dass ich schön sei, und so wollte ich ihn nicht unnötig verbal in die Irre führen. Mama und Papa wissen schon, was sich ziemt, und derlei Dreistigkeiten wären mir nie über die Lippen gekommen, schon gar nicht einem Kleinstadtmusikschulleiter gegenüber, der mich Fräulein nennt, weil er es eben nicht besser weiß. Kurz und ungut, der Direktor hieß mich mit großzügiger Geste neben seinem angestaubten Gummibaum Platz nehmen und schob mir eine Broschüre zu:
»Hochschule der Künste nimmt noch begabte Studenten auf« stand da zu lesen. »Aufnahmeprüfungen für Kurzentschlossene finden Ende November statt. Schriftliche Bewerbungen mit allen erforderlichen Unterlagen richten Sie bitte an … usw.« Ich fragte den Direktor stirnrunzelnd, ob ich etwa meinen hochmusikalischen Bernhard oder sonst jemanden aus meiner Klasse an die Hochschule der Künste schicken sollte, damit er den letzten Rest des guten Rufes unserer Musikanstalt im Hessischen ruinieren möge, aber der Direktor hatte gemeint, ich, Karla Umweg, sollte mich selbst dort bewerben.
Ich guckte ein bisschen auf den aschgrauen, staubigen Direktor und den aschgrauen, staubigen Gummibaum. »Wieso denn ich?«, fragte ich dann bescheiden.
»Nun ja, weil Sie hier im Lehrerteam die Jüngste und, wenn ich sagen darf, auch mit Abstand die Begabteste …«, äußerte der Direktor und putzte sich mit seinem aschgrauen Taschentuch die Brille. »Es wäre schade, wenn Sie hier auf Dauer versauern!«
»Aha«, sagte ich und betrachtete die soeben entstandenen Schlieren auf der Brille. »Und was ist mit Fräulein Kanisius?« Ich betonte das »Fräulein« etwas, obwohl Regina ja wahrscheinlich rein biologisch-sportmedizinisch kein eigentliches Fräulein mehr ist.
»An Fräulein Kanisius habe ich auch schon gedacht«, sagte der Direktor und hob seine Aktentasche an, die wahrscheinlich nichts als Leberwurststullen enthielt. Er entnahm ihr mit förmlicher Miene ein weiteres Flugblatt. »Sie ist zwar nicht ganz so begabt wie Sie und will, soviel man sich hier erzählt, bald in den Stand der Ehe treten, aber selbstverständlich möchte ich sie nicht übergehen. Wenn Sie ihr das bitte bei passender Gelegenheit überreichen möchten!«
Man merkte dem armen Direktor förmlich an, wie froh er wäre, wenn er Regina auf diese Weise loswerden könnte.
»Klar«, sagte ich und faltete das Blatt klitzeklein zusammen. »Mache ich. Bei passender
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