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Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Titel: Karlas Umweg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Hause immer willkommen und für mich gäbe es immer Gemüseeintöpfe der würzigsten Sorte, wenn ich zwischen zwei Konzerten mal Zeit hätte, meine armen, alten, kleinbürgerlichen, aber stolzen Eltern im hessischen Bad Orks zu besuchen. Dann konnte sie sich aber nicht verkneifen, noch zu bemerken, dass es mir vermutlich ganz gut tun würde, nicht mehr ständig warme Mahlzeiten zu bekommen, denn durch das viele Sitzen auf dem Klavierhocker sei ich doch ganz schön in die Breite gegangen in letzter Zeit. Für meine Konzertkarriere wäre es wahrscheinlich von Vorteil, wenn ich etwas figurbewusster leben würde. Vielleicht könnte ich sogar etwas Sport treiben, wenn ich in gesellschaftlich höhere Kreise käme? Ich sollte doch auf jeden Fall meine Tennisausrüstung mitnehmen. Auf diese Weise würde ich vielleicht sogar mal einen Mann kennenlernen …? Papa schüttelte nur den Kopf und schaufelte stirnrunzelnd den Eintopf in sich rein. Er fand es offensichtlich unnötig, mich mit so etwas zu belasten, schließlich sollte ich doch jetzt an mein berufliches Fortkommen denken und nicht daran, auf welchem Sportplatz ich einen Mann kennenlernen könnte.
    Papa kratzte missbilligend seinen Teller leer und wischte ihn mit Brot trocken. Wenn es nach Papa ginge, müsste nie wieder ein Teller gespült werden. Papa ist ein Resteverwerter, darauf ist er stolz. In seinen 58 Lebensjahren hat er noch nie auch nur ein Fitzelchen Lebensmittel weggeschmissen. Mama sagt, manchmal wirft sie heimlich einen Teebeutel weg, der erst in drei Tassen gehangen hat, aber das darf Papa nie erfahren. Papa ist in der Lage und bewahrt ein angebissenes Gummibärchen in Stanniolpapier im Kühlschrank auf. Wobei er das Stanniolpapier selbstverständlich für das Aufbewahren von zwei Ohren-Wattebäuschchen für windige Kurparkspaziergänge wiederverwertet. Papa wirft nichts weg. Nichts.
    Mama resümierte noch weiter vor sich hin, dass sie es schon immer für unklug gehalten habe, das Kind, nämlich mich, ein Tasteninstrument lernen zu lassen, weil das Tasteninstrument zur Einsamkeit verdamme und damit weit und breit kein Mann kennenzulernen sei. Indirekt machte sie auch die Beschaffenheit eines Klavierhockers dafür verantwortlich, dass mein Hintern so in die Breite gegangen sei. Sie sei ja dafür gewesen, dass ich ein »weibliches Blasinstrument« lernen sollte, nämlich Oboe. Das übe man oft genug im Stehen aus, und außerdem sei es ein geselliges Instrument. Papa guckte irritiert über seine randlose Brille. Woher sie denn den Unfug mit dem weiblichen Blasinstrument habe, ob sie das etwa auch auf dem Wochenmarkt aufgeschnappt hätte. Ich habe ziemlich laut und unweiblich gelacht, aber Mama hat ihren eigenen Witz sowieso nicht verstanden. Mama verteidigte sich, sie habe schon alle ihre Gedanken wohl durchdacht, nicht nur Papa sei das Denken vorbehalten, auch wenn er den Deutsch-Leistungskurs am städtischen Gymnasium leite, dass das mal klar ist! Wenn Karla Oboe spielen könnte, säße sie jetzt in einem Orchester und wäre von männlichen Kollegen nur so umgeben, im wahrsten Sinne des Wortes! Da böte sich viel leichter die Chance, einen anständigen Mann fürs Leben kennenzulernen, es brauche ja kein Schönling zu sein. Schönlinge taugten sowieso nichts, die seien nur eitel und selbstverliebt und nicht gediegen. Für Mama ist es wichtig, dass ein Mann gediegen ist, und sonst nichts.
    Ich stelle mir unter »gediegen« eigentlich nur »langweilig« vor, aber Mama funkelte mich böse an und sagte, ich solle sie nicht provozieren.
    Am Schluss sagte sie noch, dass mein Weggehen aus Bad Orks ja sicherlich den Johannes recht traurig stimmen würde.
    »Wer ist Johannes«, fragte Papa zwischen zwei Pflaumensteinen, und Mama meinte so leichthin, das sei der nette junge Mann, der in der Kirche immer die Nümmerchen an die Wand schmeißt.
    Papa erstarrte schon wieder, und ein Pflaumenkern blieb völlig ungeordnet auf seinem Teller liegen, ohne in die militärisch anmutende Batterie der bereits in Reih und Glied stramm liegenden Steine eingeordnet zu werden. »Wer schmeißt in der Kirche Nümmerchen an die Wand?«, fragte er streng.
    »Na, der Johannes, der nette junge Mann, der sich in der Kirche nützlich macht. Wenn der nicht die Nümmerchen an die Wand schmeißen würde, dann würde in der Gemeinde erst recht keiner mehr mitsingen. Er ist ein sehr engagierter junger Mann.«
    Ich lachte schon wieder aus vollem Hals. »Ich wusste gar nicht, wie turbulent es neben

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