Karlas Umweg: Roman (German Edition)
die Frau von Siegmund auch Sängerin sei, und zwar eine dramatische Sopranistin im Wagner-Fach. Sie sänge immer die Brummhilde in Bayreuth, und auch sie bekäme Höchstgagen. Allerdings, weil sie so fett sei. Wegen der äußeren Umstände sähen sich Siegmund und Sieglinde nicht so häufig. Deshalb hätten sie sich auch für eine offene Ehe entschieden. Ein fantastisches Modell, das in Künstlerkreisen das einzig durchführbare sei. Sie freue sich schon sehr darauf, Sieglinde kennenzulernen.
»Ja, wirst du sie denn etwa treffen?«
»Ja, ich werde in Bayreuth ein Blumenmädchen sein!« Das war zwar eine schäbige Nebenrolle, aber schon so manche Weltkarriere habe mit dem Blumenmädchen seinen Lauf genommen. Marie schwärmte noch von Bayreuth und Siegmund, den sie spätestens dort Wiedersehen würde, weil er dann den Hunding singen würde.
»Den wen?«
»Hunding! Mit seinem Unding!«, kalauerte Marie und wollte sich ausschütten vor Lachen.
Unser Gespräch wurde unterbrochen, weil Maximilian aufwachte. Marie stürzte zu ihm hin und holte ihn aus dem Bett. Ich setzte mich an den Flügel und spielte Johann Sebastian Bach. Das wohltemperierte Klavier. Dabei dachte ich eigentlich nur an den Sex, den Johann Sebastian gehabt haben musste. Er hat nämlich mit zwei Frauen zwanzig Kinder gezeugt. Papa würde »überflüssig« murmeln und Mama würde sagen, dass das aber wirklich ein bisschen übertrieben ist.
Seit Marie wieder zu Hause ist, braucht sie natürlich ihren weißen! Konzertflügel! selbst. Aber ich durfte wenigstens ins Konservatorium fahren und sollte nun endlich meine erste Klavierstunde bekommen.
Als ich zu Echtwein kam, lüftete er gerade und rauchte ein Zigarillo.
»Tag, Chef«, versuchte ich es auf die joviale Art.
»Tag, Karla«, sagte er und warf den Stummel aus dem Fenster. »Wie geht’s zu Hause?«
»Oh, Mama und Papa sind wohlauf«, sagte ich beiläufig, »sie freuen sich auf Weihnachten und dass ich und Stefan nach Hause kommen und vierhändig Schubert spielen …«
»Ich meine, wie geht es Marie!«
»Gut. Was soll ich Ihnen Vorspielen? Ich hätte das ganze wohltemperierte Klavier, fünf Beethoven-Sonaten, Schumanns Kinderszenen, das Mozart-Klavierkonzert in Es-Dur und einen Schönberg …«
»Ist sie gut nach Hause gekommen?«
»Ja, es geht ihr bestens. Also, was soll ich jetzt vorspielen?«
»Karla, hören Sie auf mit dem Unsinn«, fauchte Echtwein mich an. »Sie wissen doch, worum es geht!« Ich schwieg beschämt. Natürlich wusste ich, dass es um meine erste Klavierstunde in diesem Semester geht. Um meine erste Klavierstunde als Hochbegabten-Stipendiatin in Berlin an der Hochschule der Künste. Aber ich war überzeugt davon, dass Echtwein das nicht meinte.
»Was sagt Marie?«
»Dass sie in Bayreuth ein Freudenmädchen sein wird«, informierte ich ihn.
Echtwein lachte ein böses, bitteres Lachen. »Soweit kommt das noch.«
»Blumenmädchen«, verbesserte ich mich hastig.
»Eins wie ‘s andere«, sagte Echtwein und zündete sich eine neue Zigarette an. »Hat sie erzählt, wie es bei ›Cosi fan tutte‹ war?«, fragte er.
»Schön«, sagte ich. »Also ich beginne mit dem Bach?«
»Sie hat den Sterz näher kennengelernt«, mutmaßte Echtwein. Ich zuckte zusammen.
»Ach so, den Siegmund«, sagte ich dann. »Apropos Überlänge: ich kann auch zuerst das Mozart-Konzert …«
»Und wissen Sie, was sie mit mir gemacht hat?«, fragte Edwin.
»Nein.« Was sollte sie schon mit ihm gemacht haben?
»Nach Hause geschickt hat sie mich!«
Dann hättest du mir doch schon viel eher eine Klavierstunde geben können, du Arsch, dachte ich. Aber ich dachte mir, dass es nichts bringt, das jetzt laut zu sagen.
»Nicht mehr sehen wollte sie mich!«, schimpfte Echtwein und schüttelte immerfort mit dem Kopf, indem er ratlos aus dem Fenster blickte. »Richten Sie Marie aus, dass ich sie unbedingt sofort sprechen will.«
»Herr Professor …«
»Es geht um eine künstlerische Angelegenheit«, sagte Echtwein. Damit warf er einen weiteren Zigarettenstummel aus dem Fenster und nahm seinen Mantel. »Sie müssen schon entschuldigen, aber ich bin im Moment nicht in Stimmung!«
Damit verschwand er. Durch die Tür. Ich war so verdutzt, dass ich noch nicht mal lachen konnte.
Es weihnachtet sehr. Marie hat täglich Weihnachtskonzerte. Das ganze Haus schwirrt von der wunderschönen Musik aus dem Weihnachtsoratorium von Bach. Ich durfte schon alle ihre Arien und Rezitative begleiten.
Marie spricht von
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