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Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Titel: Karlas Umweg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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gearbeitet habe. Ich übersetzte für mich: der den Chor eingepaukt hat. Er sei der Vater von Marie, sagte Frau Pfefferkorn sachlich, aber er wisse nichts davon. Inzwischen habe er im Ausland als Kapellmeister großen Erfolg. »Wollen Sie sich nicht bei ihm melden?«, fragte ich gespannt. Sie wolle den geeigneten Zeitpunkt noch abwarten, sagte Erna Pfefferkorn.
    Aber im richtigen Moment, da werde sie Marie den Weg bahnen, den sie selber wegen des unehelichen Kindes nie hätte einschlagen können. Marie sei ihr in vielen Dingen verblüffend ähnlich, aber das mit dem unehelichen Kind hätte sie, Erna Pfefferkorn, ja noch im letzten Moment abbiegen können. Willem sei ein Bild von einem Ehemann, und wenn ich ihre persönliche Meinung hören wolle, dann sei er sogar viel zu schade für Marie. Willem hätte eine Frau verdient, die ihn von Herzen liebt und ihm ein nettes Leben macht.
    Ich nickte. Das war der einzige Punkt, in dem wir einer Meinung waren.
    Gestern war der sagenumwobene Auftritt von Mutter Pfefferkorn, Marie und mir im städtischen Altersheim.
    »Marie, du bist ja die Jungfrau Maria, du stehst also hier hinten«, sagte die Mutter und schob Marie neben die Durchreiche zur Küche. Leider wurden hier ständig Tassen und Teller durchgeschoben, sodass die Jungfrau Maria etwas behindert wurde.
    »Ich bin ja der Verkündigungsengel und komme von der anderen Seite«, sagte Frau Pfefferkorn. Sie verschwand hinter einer Dialeinwand.
    An mir war es nun, einsam mitten auf der Bühne am Klavier zu sitzen und das Vorspiel zu hämmern. »Zu laut, viel zu laut«, rief der Verkündigungsengel und flatterte hinter der Leinwand hervor.
    »Das sollen himmlische Harfenklänge sein!« Das mit den himmlischen Harfenklängen war jedoch ziemlich schwierig, weil die meisten alten Leute sowieso schwerhörig waren.
    Unterdessen kamen die ersten Altersheimbewohner an ihren Stöcken oder am Arm ihrer Pfleger in den Saal. Ein geräuschvolles Platznehmen und Stühlerücken begann. Es war eine Stunde vor unserem Auftritt und wir fühlten uns zugegebenermaßen ein wenig gestört. »Bitte Ruhe da unten im Saal«, rief Mutter Pfefferkorn streng und ungehalten.
    »Was sacht das Mädchen?«, fragte ein glatzköpfiger kleiner Opa mit erstaunlich hoher Stimme.
    Marie stand an der Durchreiche und fühlte sich offensichtlich unwohl. Klar, das hier war nicht Bayreuth, und weit und breit war kein toller Mann zu sehen. Um alles schnell hinter uns zu bringen, begann ich noch einmal mit meinem Vorspiel. Es gelang mir ein erstaunliches Piano, sehr gefühlvoll und sehr harfengleich für die akustischen Verhältnisse des Saales. Leider registrierte das aber niemand. Es wurde laut geredet und mit Geschirr geklappert. »Kaffee Hag, Schwester Ilse, für mich nur Kaffee HAG!« Und: »Gibt es wieder den schlesischen Streuselkuchen? Immer nur schlesischen Streuselkuchen!«, »Haben Sie an meine Diabetiker-Plätzchen gedacht?«
    Der Erzengel Erna bat noch einmal energisch um Ruhe. »Hier ist eine PROBE!«, herrschte sie die Schwester an. »Können Sie nicht bitte einmal um Ruhe ersuchen?«
    »Kinder, bitte, hier wird geprobt!«, rief die Schwester. Die Kinder hörten sofort auf zu klappern und stellten ihre Hörgeräte auf Empfang. Wir begannen mit einem Durchlauf. Der Erzengel Erna kam hinter der Leinwand hervor und flatterte zur Durchreiche. Marie hatte sich inzwischen etwas nützlich gemacht und ein paar Tassen weitergereicht. Hastig unterließ sie das, als ihre Mutter singend auf sie zukam.
    »Fürchte dich nicht, Maria. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären …« Marie stellte die Tassen ab und fürchtete sich doch. »Wie soll das zugehen, sintemal ich von keinem Manne weiß?«
    Die alten Leute versuchten eifrig, etwas von dem komplizierten Geschehen aufzuschnappen. Marie indessen stimmte eine freudige Jubelarie an, mit viel Hallelujah und »Siehe ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe wie du gesagt hast, amen.« Als sie fertig war, brachen die alten Leute in frenetischen Beifall aus.
    »So ein süßes Kind«, sagte der Opa mit der Sopranstimme.
    Damit war die Probe beendet. Die alten Leute waren sowieso alle überzeugt davon, dass dies schon die Aufführung gewesen sei, und wollten das Ganze kein zweites Mal über sich ergehen lassen. Sie klapperten so lustvoll mit den Tassen und ließen ihre Kuchengabeln mit so viel Freude auf den Tellern klirren, dass die ganze Verkündigung mit der Jungfrauensache doch im allgemeinen Kaffeetrinken

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