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Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Titel: Karlas Umweg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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nichts anderem als von Siegmund Sterz. Sie sitzt immer in der Nähe des Telefons und übt zu allem Überfluss ständig die Partie des Blumenmädchens aus irgendeinem Wagner-Schinken, den ich im Moment völlig unpassend finde. Schließlich ist Bayreuth doch erst im Sommer.
    Am schlimmsten findet sie die Aussicht auf ein Weihnachtskonzert im Altersheim, ein gemeinsamer Auftritt mit ihrer Mutter. Es geht da um die prekäre Szene, wo der Engel der Jungfrau Maria klar macht, dass sie schwanger ist, einfach so. Weil Marie mit Edwin im Moment nichts mehr zu tun haben will, soll ich das selten aufgeführte Werk begleiten. Ich habe also schon mit den beiden Sängerinnen geübt. Marie singt die Jungfrau Maria und für die Mutter ist die Rolle des Verkündigungsengels vorbehalten.
    Es gibt dafür achtzig Mark. Mal sehen, wie Marie die zwischen uns dreien aufteilen will.
    Weil wir nun alle drei künstlerisch so gefordert sind, hat Marie für Maximilian eine neue Kinderfrau eingestellt. Sie ist klein und drall und hat grau-schwarze Dauerwellen. Ich schätze sie auf Anfang sechzig. Sie ist eine Aussiedlerin und hat keine Familie hier im Westen. Sie ist absolut bescheiden und anspruchslos: sie schläft in einem von Maximilians Kinderzimmern und hat noch nicht mal die elektrische Eisenbahn rausgeräumt, die Willem dort für seinen Sohn aufgebaut hat. Sie braucht kein eigenes Bad und keinen Fernseher. Sie stammt wahrscheinlich aus sehr einfachen Verhältnissen; Mama würde sagen, sie hat aber trotzdem Herzensbildung. Sie heißt ausgerechnet Olga mit Vornamen, wie die Dogge, und mit Nachnamen Krotoschyin. Frau Krotoschyin ist nicht viel größer als Maximilian, aber sie hat sich in den Kopf gesetzt, ihn das Laufen zu lehren. Immerhin ist Maximilian jetzt 20 Monate alt, und Frau Krotoschyin sagt, ein fast zweijähriges Kind darf nicht mehr auf dem Hintern herumrutschen. Unermüdlich spaziert sie mit ihm durch das Haus und kommandiert keuchend: »Eins Bein unds andres Bein!«, und der kleine dicke Maximilian schmeißt seine Stampfer und findet das gut. Ich finde das auch gut.
    Zum Üben dieser sturzlangweiligen Mucke über Maria und diesen Erzengel kam Frau Pfefferkorn seit Langem mal wieder in unser Haus. Marie war gar nicht begeistert, aber es ließ sich wirklich nicht vermeiden. Frau Pfefferkorn entledigte sich erst einmal ihres Pelzmantels, Hutes, Umhängetuches und anderer winterlicher Utensilien, und dann sang sie sich ein. Dabei fabrizierte sie gewöhnungsbedürftige Töne. Marie verzog schmerzlich das Gesicht und goss sich einen Sherry ein. Ich stand mit Maximilian auf dem Arm am Fenster und betrachtete den Mutterdrachen. Es stimmt schon, dass sie sehr dominant und geltungshungrig ist. Warum sonst würde sie vor unseren Augen und Ohren so ein unnötiges Theater veranstalten?
    Nachdem sie mit ihren tremolierenden Übungen fertig war, durfte ich endlich an den Flügel.
    Der Engel und Maria waren sich kein bisschen grün, das merkte ich gleich. Maximilian, der, irgendetwas Unnötiges essend, unter dem Flügel herumrobbte, heizte die unterschwellige Aggression noch an. Er kleisterte sein Leberwurstbrot an die goldenen Pedale, und als ich darauf trat, fing er jämmerlich an zu kreischen. Auch wenn das akustisch keine schlimmere Belästigung war als der Gesang von Frau Pfefferkorn, so mussten wir die Probe doch abbrechen.
    »Sie könnten mal meine Gesangsschüler im Unterricht begleiten«, bot Frau Pfefferkorn mir bei einem beruhigenden Glas Sherry an.
    »Gern«, sagte ich, während ich auf Maximilians getretene Hand pustete.
    »Dabei können Sie auch was lernen. Durch die Fehler der anderen lernt man am meisten.«
    »Das sagt mein Vater auch immer.«
    »Scheint ein kluger Mann zu sein, Ihr Herr Vater.«
    Marie warf mir einen warnenden Blick zu. »Am meisten lerne ich aber von Marie«, beeilte ich mich zu sagen.
    In dem Moment betrat Willem den Raum. »Hallo, die Damen! Immer fleißig bei der Arbeit?«
    »In diesem Hause kann man nicht arbeiten«, brauste Marie auf. »Ich werde hier noch wahnsinnig!«
    »Es wird Zeit, dass ihr euch das geeignete Personal anschafft«, sagte Frau Pfefferkorn mit einem Blick auf mich. »Das sind hier alles nur halbe Sachen.«
    »Du hältst dich da raus, Mutter!«
    »Aber, meine Damen! Wo viel Talent ist, da ist auch viel Temperament! Lasst euch nicht stören, ich nehme den Kleinen und gehe mit ihm in den Park!« Damit verschwand Willem mit dem heulenden Bündel Rotz und Wut.
    Danach ging die Probe

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