Karlas Umweg: Roman (German Edition)
die Fassung.
»Sie haben mich doch extra zur Klavierstunde herbestellt!«, heulte ich. »Wenn Sie nach Amerika gehen, dann habe ich noch weniger Unterricht!«
»Menschenskind, wenn ich auswandere, dann gebe ich Ihnen überhaupt keine Klavierstunden mehr, begreifen Sie das doch!«
»Dann wandern Sie doch aus«, schniefte ich, »wandern Sie, wohin Sie wollen! Nur kapieren Sie doch endlich mal, dass ich Karla Umweg bin und nicht der Schatten von Marie!«
Echtwein sah mich erstaunt an. Von dieser Warte hatte er das noch gar nicht gesehen. »Aber Mädchen, jetzt heulen Sie doch hier nicht rum! Das hat mir gerade noch gefehlt!« Er riss das Fenster wieder auf, zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch in den Winternebel. Dann wendete er sich plötzlich zu mir herum. »Sie haben doch einen klugen Verstand. Sie wissen doch genau, warum ich Sie in meine Klasse aufgenommen habe. Sie wissen auch, warum Sie bei Marie wohnen dürfen, ohne Miete. Sie wissen auch, warum Sie all diese Reisen machen.« Er knallte das Fenster zu, weil es ihm eiskalt in den Rücken blies.
»Nein«, sagte ich, »warum?«
»Ja, liebes Kind, meinen Sie denn, Sie hätten alle diese Vergünstigungen, weil Sie so außergewöhnlich hübsch sind? Oder vielleicht eher, weil Sie Marie und mir in gewisser Weise von Nutzen sind? Überlegen Sie das mal, bevor Sie hier weitere Forderungen stellen!« Er drehte sich wieder zum Fenster und riss es erneut auf. Ich war sehr kleinlaut.
Gibt es eigentlich in meinem armseligen Leben noch einen Menschen, der mich zufällig mag, so wie ich bin?
Ludger. Der ist der Einzige.
Welch eine Fügung. Als ich von der Klavierstunde zurückkam und mich heulend auf mein Bett warf, wo ich Maries Wimperntusche auf das Kopfkissen schmierte, fand ich just auf dem verschmierten Kopfkissen einen Brief vor. Von Ludger Thiesbrummel. Er schreibt, dass er dringend auf eine Erklärung von mir gewartet habe, aber nun gerne bereit sei, mir mein »merkwürdiges Verhalten« zu verzeihen. Sicherlich sei auch eine große Portion Unsicherheit schuld an meiner plötzlichen Zurückhaltung gewesen und das könne er sehr gut verstehen; sei er doch selber kein Draufgänger, sondern eher ein Müßiggänger, was das Ankurbeln von Beziehungen zu Frauen anbelangt. Seine Mutter sei nämlich schon früh gestorben und seine Tante Hella hätte leider versäumt, ihm rechtzeitig einen zwanglosen Umgang mit dem anderen Geschlecht zu ermöglichen. Sein Vater sei im Krieg geblieben. Deshalb sei auf ihrer Seite die Freude auch so groß gewesen, dass er nun endlich die Bekanntschaft eines so natürlichen und unverdorbenen Mädels gemacht habe, das obendrein auch noch so fabelhaft Klavier spielen könne! Tante Hella fragte nun täglich nach mir und hoffte doch, mich bald mal wieder zum Mittagessen in ihrer Küche erwarten zu dürfen!
Bei der Lektüre dieser Stelle musste ich innehalten. Erstens wegen dieser emotionalen Überschüttung und zweitens wegen akuter Unlust, Tante Hella jemals wiederzusehen. Ich zwang mich, mal richtig Tabula rasa mit meinem Leben zu machen. Schluss mit lustig, dachte ich, jetzt und hier, Butter bei die Fische. So geht das nicht weiter. Ich bin jetzt erwachsen und muss selber entscheiden, was ich mit meinem Leben anfangen will.
Was willst du denn nun eigentlich, Karla Umweg?
Du kannst deine Rolle als Zofe von Marie akzeptieren. Das hat durchaus viele Vorteile: ein Dach über dem Kopf, ein nicht langweiliges Leben, immer wieder spannende Geschichten von originellen Männern im Lodenmantel, mit Federhut, Ente auf dem Teich oder selbstgezimmerter Kellerbar. Das beinhaltet auch, bei zeitweiser Zugeneigtheit von Marie, Echtweins Lakai zu sein. Wenn du Pech hast, musst du sogar mit seinen Einkaufslisten zum Aldi. Im allerschlimmsten Falle könnte es dazu kommen, dass du in der Apotheke nach Kondomen anstehst. Aber gut. Wenn du dich dafür entscheidest, wirst du es gut machen.
Oder du siehst dich schlicht als Kinderfrau und Haushälterin in diesem Hause. Dann wäre eventuell sogar ein schmales Gehalt drin. Dann kannst du Echtwein und die Klavierstunden allerdings vergessen. Das beinhaltet natürlich erfreulicherweise auch den Dienst am Hausherrn. Du wirst seine Polohemden bügeln und das Reptil mit Fleckentferner behandeln dürfen. Du wirst den übergewichtigen Sohn des Hauses bei Laune halten und die seibernde Dogge in die Grünanlagen führen. Du hast ein geregeltes Einkommen und Mama würde das sehr freuen. Immerhin lernt man in
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