Karlas Umweg: Roman (German Edition)
was die Abtreibung betrifft: sie ist erst in der neunten Woche und es handele sich in ihrem Fall ganz klar um eine soziale Indikation.
»Wieso sozial? Du bist doch verheiratet.«
»Das hat damit nichts zu tun. Ich baue mir gerade eine Karriere auf. Ein zweites Kind würde mir alles vermasseln, wofür ich seit Jahren hart gearbeitet habe.«
»Sagt der Therapeut das?«
»Mehr oder weniger.« Sie küsste ihr Sherry glas und dann sang sie Carmen. Ich durfte sie dabei begleiten.
Echtwein war noch bleicher und lappiger, als ich ihn in Erinnerung hatte. Sein ehemals weißes Oberhemd hatte Form und Farbe von zerkochtem Spargel. Er saß gerade am Klavier und kritzelte etwas auf einen Zettel. Wahrscheinlich wieder eine Einkaufsliste. Ich fühlte mich unheimlich gut in Form; frisch geschminkt und in einem T-Shirt von Marie. Meine Finger waren bestens präpariert; ich hatte einen ganz schrillen Nagellack aufgetragen. Auch von Marie, natürlich. Alles an mir erinnerte den armen Echtwein an Marie, das tolle Make-up in ihren Farben, sogar das Parfüm, das ich seit einiger Zeit benutze. Er war richtig zu bemitleiden! Allerdings spürte ich da schon unterschwellig, dass die Echtwein-Katastrophe ihren Anfang nahm. »Hallo«, sagte ich beschwingt und knallte meine Noten auf den Flügel.
Der Spargel kritzelte noch seinen Einkaufszettel zu Ende. Ich beschloss, sein sinnloses Tun komplett zu ignorieren, und setzte mich ungefragt auf den Klavierhocker. Dabei flog sein Einkaufszettel zu Boden. Er bückte sich danach, weil ich es nicht tat. Dann sagte er auch Hallo, vielleicht nicht ganz so fröhlich wie sonst. »Sie haben sich ja angemalt«, tadelte er an mir herum.
»Lieber im Gesicht bemalt als vom Leben gezeichnet. Nett, dass Sie wieder im Lande sind«, begann ich unsere freudlose Konversation. »Ich muss nämlich langsam an meine Zwischenprüfungen denken!«
»Wie geht es Marie?«
»Sie war im Skiurlaub und sieht gut erholt aus. Willem und Maximilian waren natürlich auch dabei. Maximilian hatte ein hoteleigenes Kindermädchen und dabei war auch noch ein befreundeter Architekt aus Emmerich …«
»Danke, das reicht«, sagte Echtwein.
Er sollte doch bloß wissen, dass er es mit einer intakten, glücklichen Familie zu tun hat, die keinerlei Störung von außen vertragen kann.
Damit hielt ich das Thema für erledigt. Ich schlug meine Noten auf und rutschte auf den Klavierhocker.
»Bach oder Bartok?«
»Hat sie nach mir gefragt?«
»Nein«, sagte ich. Dann blickte ich ihn erwartungsvoll an, wie das meine Schüler in Bad Orks auch immer getan hatten. Wie ich diese Klavierstunden-Anfänge gehasst hatte!
»Sie hat überhaupt nicht nach mir gefragt?«
»Nein.« Ich begann mit dem Bach-Präludium in As-Dur.
»Lassen Sie das doch!«, sagte Echtwein genervt.
»Wieso?«, fragte ich, ohne mein Bach-Präludium zu unterbrechen. »As-Dur hatten Sie mir vorletztes Mal aufgegeben!« Provokant klimperte ich weiter.
»Ist mir egal, was ich Ihnen aufgegeben habe, Mensch!«, rief Echtwein und ging zum Fenster, um es unwirsch aufzureißen. Wahrscheinlich konnte er Maries Parfumgeruch nicht mehr ertragen. Ich spielte immer noch weiter, denn de jure stand ich da wie eine Eins. Ich war seine Studentin, er hatte mir das As-Dur-Präludium aufgegeben und ich spielte es ihm fehlerfrei vor. Von nebenan ertönten Beschwerden: »Fenster zu! Ruhe! Hier ist Klausur!«
Ich hörte auf zu spielen. Echtwein begann nervös zu rauchen.
»Ich gehe vielleicht für immer nach Amerika«, sagte er. »Sagen Sie Marie, dass ich sie sprechen muss!«
»Herr Echtwein«, sagte ich und räusperte mich, weil meine Stimme nicht fest im Sitz war. »In Anbetracht der Tatsache, dass Sie vielleicht bald für immer nach Amerika gehen, hätte ich jetzt gerne noch die restlichen 78 Klavierstunden, die mir bis zur Zwischenprüfung zustehen. Das ist an einem langen Wochenende nicht zu schaffen.«
»Ihre Klavierstunde interessiert doch jetzt keinen Menschen!«, brauste Echtwein auf.
»Meine Klavierstunde interessiert mich selbst, immerhin«, hackte ich auf meinem Recht herum.
»Mein Gott, die kriegen Sie bei Gelegenheit schon mal!«, schnauzte Echtwein und warf das morsche Fenster wieder zu. »Ich bin jetzt nicht in der Stimmung, sehen Sie das nicht!« Sein barscher Ton ließ all meine Lässigkeit zunichte werden. Ich fand es unendlich schade: Endlich hatte ich mal einen Flügel, der in der richtigen Stimmung war, da war der Lehrer nicht in der richtigen Stimmung. Ich verlor
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