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Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Titel: Karlas Umweg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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alles selbst zu durchschauen. Männer brauchen Zeit. Frauen sind da zum Glück mit Geduld und Weitsicht ausgestattet. Ich werde ihn mir erwarten, den Willem. Papa sagt auch immer, Warten will gelernt sein, und wer warten kann, wird auch glücklich werden. Willem muss von selbst darauf kommen, dass ich ihn liebe. Wenn ich es ihm jetzt sagen würde, wäre er nur emotional blockiert. So eine Liebe muss wachsen. Sagt Mama auch immer. Ihre Liebe zu Papa, die musste auch erst wachsen. Der Grundstein ist gelegt. Ich lebe unter seinem Dach. Ich bin seine Vertraute. Mit seinen Problemen kommt er zu mir.
    »Spielen wir bald mal Tennis?«, fragte ich, um von Marie abzulenken.
    »Gerne, ja«, sagte Willem und stand auf. Das Reptil auf seiner Brust guckte mich schadenfroh an.
    »Und denk dran, mich zu informieren, wenn du etwas über Marie weißt«, sagte Willem an der Tür. Zum Abschied schenkte er mir noch einen unvergesslich tiefen und klaren Blick aus blauen, nachdenklichen Augen.
    Dann ging er. Als ich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, lehnte ich noch minutenlang an dem kühlen Holz. Seine Schritte waren schon lange auf der Treppe verhallt, als sie noch in meinen Ohren nachklangen. Scheiße, tut das weh, verliebt zu sein.
    Echtwein ließ mir durch einen Schüler einen Zettel zukommen. Der Zettel war zerknüllt und aus einem Notenheft herausgerissen. Auf der Rückseite war eine ungültige Einkaufsliste: Zwieback, Tee, Tabak, Rei in der Tube, Eier, Zahnpasta, Schnaps.
    Die Botschaft auf der Rückseite des Einkaufszettels lautete: »Erwarte Sie zum Unterricht morgen früh, zwölf Uhr dreißig. Echtwein.«
    Das war sehr freundlich und persönlich formuliert. Auch dass zwölf Uhr dreißig im unmittelbaren Zusammenhang mit »früh« steht, zeugt davon, dass er auf meine studentischen Gewohnheiten Rücksicht nimmt. Ihm liegt etwas an mir, das merkte ich gleich! Er hält auch viel von meinem Fleiß und meinem Talent, da bin ich sicher. Ich freute mich unbändig auf ihn. Jedenfalls beschloss ich, anstandshalber noch ein wenig zu üben. Seit Wochen hatte ich ja keine Taste angerührt.
    Leider wurde aus dem Üben nichts, weil Marie ins Wohnzimmer kam und mir einen Sherry und eine Zigarette anbot. Sie wollte reden.
    Die Fingerübung erstarb unter meinen Händen, die Töne tropften von den Tasten ab.
    »Hast du mal einen Moment Zeit?«, fragte Marie.
    »Klar«, sagte ich. »Für dich immer, Marie.«
    »Ich habe über mich nachgedacht.« Plötzlich schien es mir, als würde ihre Stimme schwanken.
    »Ja?«, fragte ich aufmunternd. »Und jetzt?«
    »Du hast mich da zu etwas angeregt«, sagte Marie und tatsächlich tropfte eine Träne neben das Sherryglas. Bestürzt stand ich vom Hocker auf und kniete mich zu ihren Füßen.
    »Aber Marie! ICH? Was habe ich denn getan, dass du so traurig bist?«
    »Du hast mich darauf gebracht, dass ich vielleicht nicht normal bin«, schluchzte Marie. Sie war wie immer, wenn sie weinte, unbeschreiblich schön. Komisch, dass es mir nie gelingt, so wunderbar und entzückend auszusehen, wenn ich flenne. Ich sehe dann eher aus wie eine aufgeplatzte Einkaufstasche.
    »Ich war bei einem Psychotherapeuten!«
    »Aber doch nicht wegen mir!«
    »Doch. Du hattest ja Recht. Mit mir ist etwas nicht in Ordnung.«
    »Aber was sollte denn mit dir nicht in Ordnung sein, Marie?«
    »Ich kann mich emotional nicht an einen Menschen binden«, fasste Marie ihre missliche Lage zusammen. »Das hat mein Therapeut mir auf den Kopf zu gesagt!« Sie schneuzte sich.
    »Ja, und jetzt?«
    »Er will mit mir eine gründliche Gesprächstherapie machen«, sagte Marie unglücklich. »Zuerst bedarf es einer ausführlichen und lückenlosen Analyse. Das kann Jahre dauern!«
    Sie schluchzte. Dass es aber auch so schlimm um sie bestellt war!
    »Du darfst Willem keine Silbe davon verraten!«, beschwor mich Marie. »Er würde sich nur unnötig Sorgen um mich machen.«
    »Keine Silbe, Marie!«, versprach ich. Ich drückte ihr die kalte Hand. »Ehrenwort. Unter Frauen.«
    Sie lächelte mich dankbar an. »Willem würde bloß eifersüchtig. Er will nicht, dass ich über unsere Beziehung mit Außenstehenden spreche.«
    Und dabei hat er doch schon selbst über seine Beziehung gesprochen, mit mir nämlich. Aber ich werde schweigen wie ein Grab. Die kluge Frau wartet ab und schweigt, würde Papa sagen.
    Marie erwähnte abschließend noch, dass dieser Psychotherapeut ihr in einer ausführlichen Sitzung über ihre moralischen Bedenken hinweggeholfen habe,

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