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Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Titel: Karlas Umweg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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muss ich schließen, weil ich echt wahnsinnig viel zu tun habe, aber grüße deine Tante Hella schön. Tschauli und Bussi aufs Borstenbauchi.
    Ich wusste gar nicht, wie cool ich sein kann.
    Mittags half ich Marie beim Zusammenstellen eines neuen Liederabendprogramms. Sie hat sich Schumanns »Frauenliebe und Leben« ins Programm genommen und dieser Stoff bietet sehr viel Anregung zum kritischen Hinterfragen der Rolle der Frau. Während ich so die fünfzig kopierten Blätter ausschnitt, klebte und heftete, versuchte ich, mit Marie darüber ein Gespräch zu führen.
    »›Seit ich ihn gesehen, glaub ich blind zu sein‹«, las ich vor. »›Wo ich hin nur blicke, seh ich ihn allein.‹ Ist das nicht Schwachsinn?«, und dachte dabei, dass ich genau das fühle, wenn ich an Willem denke.
    Marie war aber zu sehr mit ihrer eigenen Rolle in ihrer eigenen Gesellschaft beschäftigt.
    Ihr Therapeut, sagte sie, würde sie ganz brutal mit ihrer eigenen Kindheit konfrontieren. Das müsste einfach sein, auch wenn es sehr grausam sei, die ganze seelische Unterdrückung durch Erna Pfefferkorn noch mal zu durchleben. Ihre Mutter sei, so habe der Therapeut herausgearbeitet, ihre einzige Konkurrentin. Das wird sich aber ändern, Marie, dachte ich. Warte mal, bis ich die Gesellenprüfung abgelegt habe. Kann sich nur noch um Jahre handeln.
    Aber die Quelle allen Unglücks sei natürlich einzig in ihrer freudlosen, spartanischen Kindheit und ihrer körperfeindlichen Erziehung zu entdecken, ganz klar. Das haben Marie und ihr Therapeut nach vielen stundenlangen Sitzungen erkannt. Ich habe mich ein bisschen gewundert, denn bei Ludger bewirkt die körperfeindliche Erziehung langfristig das glatte Gegenteil von dem, was sie bei Marie bewirkt hat.
    »›Er der Herrlichste von Allen, wie so milde, wie so gut‹«, las ich aus den Schumann-Noten vor. Und musste schon wieder an Willem denken. Und an seine miserable Rückhand.
    Marie plant eine Karnevalsfete und hat lustige Einladungen verfasst, die ich heute Morgen mit Olga und Maximilian zum Briefkasten gebracht habe. Olga durfte die Einladungen tragen, nachdem Maximilian sie immer wieder mit dem provozierenden Wörtchen »Da!« in den Schnee geschmissen hatte. Ich konnte sie nicht tragen, weil ich mit einer Hand Olga an der Leine hielt und mit der anderen Hand den Kinderwagen schob. Da mich der Teufel ritt, habe ich auch eine an Ludger Thiesbrummel geschickt, ohne ein einziges persönliches Wort. Bin mal gespannt, ob der es fertig bringt, hier plötzlich aufzutauchen. Es sähe besser aus, habe ich mir überlegt, wenn ich auch eine männliche Figur bei mir hätte. Damit geraten Willem und ich in keinerlei Verdacht. Marie wird so mit sich selbst beschäftigt sein, dass sie den Bluff nicht bemerken wird. Sie wird denken, dass Thiesbrummel mein Freund ist, und keinerlei Verdacht bezüglich Willem und mir schöpfen. Das Klavierüben kommt wirklich etwas zu kurz. Aber dafür ist ja jetzt mein Privatleben umso aufregender. Was soll ich Tonleitern üben, wenn der Mann meines Lebens mit mir unter einem Dach wohnt und es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis er sich auch offiziell zu mir bekennt!
    Tatsächlich. Thiesbrummel hat angebissen. Heute kam ein Brief von ihm. Wie oft er in letzter Zeit an mich dächte und wie sehr er schon die Tage zählte, bis er sich auf den Weg machen könnte, um mich wiederzusehen. Staunen wird er, der liebe Ludger, bin ich doch schlank und rank wie nie zuvor und im Besitz von knallengen Jeans und Cowboystiefeln! Meine Haare werden auch immer länger und gestern habe ich mir sogar mit Henna eine sündige rote Strähne reingemacht. Wahrlich. Ich bin nicht mehr die kleine blasse Blättermaus mit den hundekackebraunen halblangen Haaren und dem dicken Popo vom vielen Sitzen auf dem Klavierhocker. Das wird Thiesbrummel sich schon hinter die Ohren schreiben müssen. Aber ich sollte nicht über ihn lästern. Ich brauche ihn noch. Als Studienobjekt. Fühle mich so supergut drauf, dass ich heute Abend unbedingt ausgehen muss. Ich werde mal Matthäus anrufen, ob wir uns nicht treffen können.
    Matthäus und ich waren gestern Abend in verschiedenen Kneipen und haben uns köstlich amüsiert. Der quarzt sich ja was zusammen, der Kerl! Kaum hat er eine Zigarette ausgedrückt mit seinen gelben, abgenagten Fingern, da dreht er sich schon die Nächste. Wenn der mal an Lungenkrebs stirbt, wird Greenpeace gegen seine Beerdigung protestieren. Aber er ist ein netter Kerl, soweit. Ich hatte mich

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