Karlas Umweg: Roman (German Edition)
vernachlässigen zu lassen.
Als Edwin ging, war Marie wieder so gut drauf wie eh und je. Keine Spur von Verzweiflung, Trauer, Selbstmordgedanken und Schuldgefühlen. Sie strahlte und kicherte und ihre Augen leuchteten und sie sang und trank Sherry und tat geheimnisvoll. »Edwin geht vielleicht nach Amerika!«, platzte sie dann bald heraus.
»Also jetzt doch? Und da freust du dich?«
»Er will mich ja mitnehmen«, vertraute Marie mir kichernd an.
»Wann … fahrt ihr denn?«, fragte ich hoffnungsvoll.
Marie lachte. »So schnell geht das nicht«, sagte sie. »Edwin hat dort eine Professur in Aussicht. Das Gremium hat sich aber noch nicht endgültig für ihn entschieden. Seine finanziellen Forderungen sind ihnen zu hoch!« Sie amüsierte sich köstlich. »Er will glatt das Doppelte wie die Anderen.«
Klar, wenn eine halbe Portion das Doppelte will wie die Anderen, kommt unterm Strich wieder eins raus.
Marie und Edwin nach Amerika. Und Willem?
»Und Willem?«, fragte ich, nachdem ich mich dazu durchgerungen hatte. »Und Maximilian?«, fügte ich schnell hinzu.
»Die müssen natürlich mit!«, sagte Marie.
»Wie, mit?« Meine Zunge fühlte sich an wie Leder.
»Wenn ich drüben große Karriere mache, dann kann Willem den Betrieb hier locker verkaufen. Das will er sowieso schon längst. Die ganze Vanille-Kacke stinkt ihm schon lange. Weißt du, wie günstig der Dollar im Moment steht?«
»Nein.«
»Money is all you need!« Sie lachte wieder herzlich. Sie kann so entzückend sein, wenn sie aufgekratzt ist!
»Ja, glaubst du denn, Willem geht wegen Echtwein nach Amerika?«, fragte ich, ehrlich entrüstet.
»Nicht wegen Echtwein«, sagte Marie künstlich betont, »Willem geht natürlich wegen mir. Was hast du denn gedacht?«
Und dann lachten wir beide, dass uns die Tränen kamen. Besonders mir.
Marie ist dauernd mit irgendetwas beschäftigt, und zwar aushäusig. Sie erzählt mir nicht mehr alles, das stimmt mich besorgt. Hat sie einen Verdacht? Traut sie mir nicht mehr? Was macht sie? Sind es Proben mit Echtwein, Therapiesitzungen mit dem Analysewütigen, sind es Besprechungen mit dem Gremium, Pläne mit Rainer, dem Agenten aus Düsseldorf, oder sogar Gesangsstunden bei Zurlinde? Jedenfalls ist sie nicht da, während ihr Gatte jeden Abend pünktlich erscheint, um Maximilian ins Bett zu bringen. Ich mache mich immer nett zurecht und halte mich unauffällig im Hintergrund zur Verfügung, falls er ein Bier will oder für Maximilian ein frisches Badehandtuch braucht. Vielleicht berät sich Marie ja schon mit einem Scheidungsanwalt – was bedeuten würde, dass sie mit dem Scheidungsanwalt zuerst eine Affäre hat. Das kann dauern. Oder sie bereitet die Überfahrt in die Staaten vor. Ich spüre, dass bald eine Bombe platzt. Willem braucht jetzt eine Frau, die für ihn da ist. Jeden Tag kann der schwere Schlag der Trennung über ihn hereinbrechen. Ich bin bereit.
Heute habe ich einen mutigen Schritt nach vorn getan: ich habe Willem ein paar Schnittchen geschmiert. Ob das zu viel von meiner Zuneigung preisgegeben hat? Jedenfalls hat er fast alle Schnittchen gegessen, auch ein hart gekochtes Ei, aber ohne Senf, ich glaube, da ist er zu sehr Feinschmecker. Wir haben uns recht nett unterhalten, allerdings über Unverfängliches. Jeden Abend fragt er mich, ob ich weiß, wo Marie ist und wann sie nach Hause kommt, aber ich kann nur sagen: Ich weiß es nicht! Denn sie will ja nicht, dass Willem die Sache mit dem Psychoanalyseheini erfährt.
Ich soll nun mit Maximilian unter Kinder gehen, weil er in das Alter kommt, wo er von der polnischen Frau Krotoschyin nicht unbedingt die deutsche Sprache lernt. Er meinte auch noch, dass Maximilian jetzt mal soziales Verhalten lernen soll, und das kann er bei Frau Krotoschyin wirklich nicht, weil sie ja sein Lakai ist und nicht sein soziales Umfeld. Es gibt hier im Stadtteil eine Krabbelgruppe, die ist zwar schon längst ausgebucht, aber Willem hat einen Tausender gespendet und nun ist sie doch nicht mehr ausgebucht. Für einen übergewichtigen unerzogenen Millionärssohn ist zufällig gerade noch ein Plätzchen frei. Wer hätte das gedacht. Morgen gehe ich also mit Maximilian krabbeln und soziales Umfeld abchecken.
»Was ist übrigens mit deinen Amerika-Plänen?«, habe ich Marie gestern gefragt.
»Amerika? Das wäre eine Flucht vor meiner Vergangenheit!«, hat Marie geantwortet und sich genüsslich einen Sherry eingegossen. »Mein Therapeut nimmt mich täglich mehrere Stunden in
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