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Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Titel: Karlas Umweg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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denn?«, fragte sie mich zurück.
    »Vierundzwanzigeinhalb.«
    »Da hatte ich schon drei«, sagte sie. »Jetzt bin ich sechsundzwanzig.«
    »Boah«, sagte ich. »Reife Leistung.«
    »Vom Rüdiger«, sagte sie. »Dem seine Leistung ist reif.«
    Das musste ich zugeben, ohne Rüdiger zu kennen. »Was macht denn dein Rüdiger so beruflich?«, wollte ich wissen.
    »Du, warum fragst du das?«
    Langsam ging mir dieses nervtötende Hin- und Hergefrage auf den Geist. Kam ja unterm Strich doch nichts Sinnvolles dabei raus. Papa hätte schon längst gesagt »Überflüssig« und hätte sich aus dem Staub gemacht. Aber ich wollte noch nicht aufgeben.
    »Weil mich interessiert, wie der Rüdiger die ganze Familie ernährt«, sagte ich und ärgerte mich über mein altmodisches Gefasel.
    »Du, der Rüdiger kümmert sich um die Kinder, genau wie ich«, sagte meine Nachbarin. »Da ist er!«, und zeigte auf den Knetgummipenis.
    »Welcher?«
    »Also, der mit der roten Strumpfhose ist der Benjamin, die mit dem braunen Pullover ist die Nena, die daneben mit der Rotznase ist die Julia und dies hier ist der Daniel«, sie zeigte auf das Lumpenbündel mit der Wollmütze auf ihren Knien, »und der Rüdiger ist der mit der Latzhose und den langen Haaren.«
    »Ach!«, sagte ich und Rüdiger guckte kurz rüber und grinste, bevor er weiter an dem Penis modellierte.
    »Ey, Rüdiger, wisch mal der Julia die Nase«, sagte meine Nachbarin.
    Rüdiger zog sich den Zipfel seines T-Shirts aus der Latzhose und fuhr damit Julia durchs Gesicht.
    »Ich bin die Ulrike«, sagte die Frau von Rüdiger. »Und du?«
    »Karla«, sagte ich. »Ich bin die Karla.«
    »Und du bist also ne Millionärsfrau?!« Sie sah mich kritisch an.
    »Quatsch«, sagte ich. »Ich bin die Kinderfrau. Ach was, auch Quatsch. Ich bin Pianistin.«
    Ulrike war begeistert. »Ey, Rüdiger«, rief sie und der Latzhosenkerl drehte sich unwillig zu uns um. »Kuck mal, die hier ist Pianistin!«
    »Scheiß ich doch drauf«, sagte Rüdiger und zog die Nase hoch. Maximilian hatte die ganze Zeit artig auf meinem Schoß gesessen und den anderen Kindern beim Matschen zugesehen, aber jetzt wollte er unbedingt runter.
    »Du, Ulrike, was soll ich ihm denn zu spielen geben?«, fragte ich ratlos.
    »Ey, Rüdiger, zeig der Karla mal die Fingerfarben!«, sagte Ulrike.
    »Mach du doch, ey«, sagte Rüdiger und knetete weiter. Seine drei Kinder kneteten Mini-Penisse und klebten sie unten an den großen Penis dran.
    Ulrike legte das Lumpenbündel entschlossen auf den Fußboden und stand auf. »Ey, hier liegt der Daniel!«, schrie sie in den Lärm hinein, aber niemand beachtete sie.
    »Komm mit«, sagte sie, und ich flötete: »Maximilian, komm, die Tante zeigt uns was!« Die Tante zeigte uns dann in einer völlig verschmierten Ecke des Raumes die Fingerfarben. Einige Kinder standen bis zu den Waden in den Farbtöpfen und klecksten selbstvergessen die Farbe auf Stühle, Matratzen und an die Wände. Maximilian robbte mit seiner weißen Designer-Skihose in den Matsch hinein, zeigte auf die Farbtöpfe und sagte: »Da!« Ich konnte ihn getrost alleine lassen.
    »Willste ‘n Kaffee, ey?«, fragte Ulrike und wir gingen zu Connie in die Küche. Sie hatte gerade Tee gekocht, für die Kinder Salbei- und Brennnesseltee und für die Erwachsenen Ostfriesentee. Ulrike holte ein Paket Nicaragua-Kaffee aus dem Schrank und sagte zu mir:
    »Sechzig Pfennig pro Tasse, wie viele trinkste?«
    »Ey, der Alte von ihr hat einen Riesen berappt«, sagte Connie und zeigte Ulrike einen Vogel. »Die braucht hier nix für den Kaffee zu blechen.«
    »Doch«, sagte ich. Und legte ein Zweimarkstück auf den Tisch. Das letzte Bargeld, das ich besaß.

Habe Marie von den Saubären erzählt und sie fand es gut, dass Maximilian jetzt unter Kinder kommt. Dann erzählte sie mir von James. Zurzeit sind sie in einer unheimlich intensiven Phase der Kindheitsanalyse angekommen.
    »James ist tief in mich gedrungen.«
    »– – –?«
    »James hat herausgefunden, dass meine Mutter an total vielen Sachen schuld ist, weil sie so herrschsüchtig und selbstherrlich ist.«
    »Ach was«, staunte ich. Darauf wäre ich nie gekommen. Jedenfalls nicht nach so kurzer Zeit.
    »Und sie hat einen krankhaften Drang zur Selbstdarstellung.«
    »Ach was?«
    »Meine Mutter wollte immer was Besseres darstellen, als sie ist«, sagte Marie und steckte sich eine Zigarette an. Ich nahm auch eine. »James meint, sie projiziert jetzt in mich all das hinein, was sie selber gern

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