Karlas Umweg: Roman (German Edition)
es mir: weißt du etwas?«
Ich starrte ihn wortlos an. Mein Herz raste irgendwo unter der Zunge, und die war trocken und ledern wie das Steak, das unbeachtet vor sich hin schmorte. Ich sprang auf und trat zum Herd. »Das Steak ist verbrannt«, stammelte ich mit letzter Kraft.
»Lass es, ich kann sowieso nichts essen«, sagte Willem.
Ich wankte zu seinem Sessel und kniete mich zu seinen Füßen. Genauso habe ich heute Morgen vor Marie gehockt und ihr anbetend gelauscht, als sie von James Pokerface erzählt hat! Willem fing leise an zu sprechen und blickte über meine rot gefärbten Strähnen hinweg zur Wand. »Marie hat immer andere Männer gebraucht«, sagte er wie zu sich selbst. »Ich habe gedacht, dass sich das mit der Zeit schon einrenkt und sie irgendwann zu mir findet, aber sie bricht immer wieder aus.« Er schüttelte verträumt lächelnd den Kopf und fügte hinzu: »Wie ein Wildpferd, das sich nicht anbinden lässt.«
Ich sah ihn an.
»Sie hat keinen Vater gehabt«, sagte Willem düster. »Er ist irgendein Dirigent aus Frankreich. Er hat Maries Mutter nur sehr kurzzeitig zu seinen Geliebten gezählt. Anscheinend liegt das in der Erbmasse von Marie, dieses flatterhafte Wesen … sie findet nie zur Ruhe … Wir könnten so glücklich sein miteinander …« Jetzt weint er gleich, dachte ich hoffnungsvoll und äugte auf die Tempopackung im Regal, die ich ihm unauffällig reichen wollte, wenn mein großer Auftritt gekommen sein würde.
»Ich liebe sie nämlich«, sagte Willem und guckte an mir vorbei auf den leeren Vogelkäfig. Wenn ich jetzt im Nachhinein und in meiner Verzweiflung über alles nachdenke, erwacht doch wieder ein Hoffnungsschimmer in mir: er wird sich von Marie abwenden.
»Und wie geht es jetzt weiter?«, fragte ich nach einigen Minuten, heiser vor Anspannung.
Blöderweise habe ich seine Antwort überhaupt nicht wahrgenommen. Ich stellte mir vor, wie Willem hinter der Gardine steht und auf mich wartet, mich, Karla, die Konzertpianistin. Wie ich aus dem Auto steige, dem Chauffeur dankend zurufe, dass ich ihn nicht mehr brauche, Willem dann in die Arme fliege und mit ihm Champagner trinkend auf das weiße! Sofa! sinke, er mir die spitzen Schuhe vorsichtig auszieht und bewundernd über meine schlanken Beine streicht, mir vielleicht eine Zigarette anzündet und sie mir zwischen die Lippen steckt und sagt:
»Ich habe heute jeden Ton deines Konzertes im Radio verfolgen können, Liebling. Maximilian hat fest geschlafen.«
Dann sah ich uns, Arm in Arm und vor zuckendem Blitzlichtgewitter über einen roten Teppich schreiten, hinein in die Berliner Philharmonie, wo ich heute Abend mein Debüt gebe, unter der Leitung von Sir Georg Solti, und Willem steht lachend da und genießt es, mit mir gemeinsam fotografiert zu werden, und Maximilian, unser Sohn, schreitet artig in einem tadellos sitzenden Maßanzug vor uns her und faltet ein Programmheft zu einer Schwalbe …
Wie gesagt, ich habe über diesen Gedanken seine Antwort akustisch nicht wahrgenommen. Wie ärgerlich. Sonst wüsste ich jetzt vielleicht, wie es weitergeht.
Willem ist dann gegangen und hat sich bedankt, dass ich ihm zugehört habe. In der Tür hat er sich noch umgedreht, auf meine Füße geguckt und gesagt, dass er noch nie im Leben so offen mit einem Menschen geredet hätte, er sei nicht so begabt im Mitteilen wie seine Frau.
Dann ging er. Ich stand noch minutenlang an der Tür und hoffte, er würde zurückkommen. Er kam aber nicht.
Marie ist voll im Stress. Erst mal muss sie sich jetzt intensiv auf diesen Wettbewerb vorbereiten, weshalb sie gestern und heute stundenlang im Büro von Prof. Zurlinde war. Die Vorzimmermaus, Edwins geschiedene Frau mit der viel belachten Dauerwelle, durfte keine Anrufe durchstellen und außer einem trockenen Sherry auch nichts zu ihnen hineinbringen. Dann haben sie ausführlich den Wettbewerb vorbereitet – Pflichtstücke für jede Stimmgattung festgelegt und eine Liste von Wahlstücken aus dem Bereich Oper, Konzert und Lied. Die Auswahl wurde dann über die Sprechanlage der Vorzimmermaus mitgeteilt, die wiederum die unangenehme Aufgabe hatte, diese an Edwin, ihren geschiedenen Mann, weiterzugeben. Marie hat sich köstlich amüsiert über diese Verwicklungen und herzlich gelacht. Nach den Sitzungen bei Zurlinde hatte sie Sitzungen bei Dr. Holzapfel, James, dem Undurchschaubaren, dem sie die Sachlage genau erklärte und dann gemeinsam mit seiner fachkundigen Hilfe analysierte. Klar, dass sie keine Zeit
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