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Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Titel: Karlas Umweg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Tageslicht hinauf. Die Rolltreppe war nicht in Betrieb. Ich schnaufte und keuchte oben so sehr, dass ich bunte Sterne sah und geschlagene fünf Minuten brauchte, um wieder zu mir zu kommen. Dann bahnte ich mir einen Weg über den überfüllten Ku’damm zum KaDeWe, in dem Frau Zurlinde immer ihre kalten Platten zu bestellen pflegt. Die fährt wahrscheinlich mit dem Taxi vor oder lustwandelt mit einer fuchsschwanzbehängten Freundin durch die fünfte Etage, diese Schlemmermeile, um hier mal wieder ein Lachshäppchen und ein Gläschen Champagner zu konsumieren. Wie ungerecht doch diese Welt sein kann. Auch der Gedanke an Marie, die jetzt wahrscheinlich gerade im Sprechzimmer von Heyko oder in der Praxis von James kichernd ihr Glas küsste, konnte mich nicht aufheitern. Maximilian schrie wie am Spieß, weil er in seinem dick gefütterten Wintersack schwitzte. Ich putzte mir die Nase und Maximilian auch und fingerte nach dem ausgespuckten Schnuller, auf den sofort zwei Dutzend Schulkinder traten, und stopfte ihn Maximilian in den Mund, nachdem ich ihn zuerst abgelutscht hatte. Dann kämpfte ich mich auf den überfüllten Rolltreppen in die fünfte Etage. Dort lungerten einige reiche Witwen mit Hüten und Fuchsschwänzen am gläsernen Tresen herum, tranken Champagner und vertrieben sich die Langeweile, indem sie Lachshäppchen und Kaviar in sich hineinstopften. Alle starrten auf mich und das fette Baby, das schrie wie am Spieß und sich zornig im Buggy hin und her warf, und man hörte auf zu kauen und zu tratschen. Jedenfalls zog ich mich mit einer sehr dezent geschminkten Dame, die nach Kölnischwasser roch, in ein Hinterzimmer zurück, um gemeinsam mit ihr den hauseigenen Prospekt durchzublättern, in dem halbe Schweine mundtot, aber geschmückt wie ein Christbaum dem Betrachter entgegengrinsten. Ich fand sämtliche Abbildungen sehr appetitlich. Die Dame fragte sehr dezent nach meinen Preisvorstellungen, und ich dachte, dass Marie bestimmt nichts dagegen hätte, wenn ich ihr diesen Spaß was kosten ließe. Maximilian jedoch fand es zum Heulen, dass man diese Frikadellenberge und Schinkenröllchen nicht rauspflücken und sofort verspeisen konnte. So brach er in verzweifeltes Wehgeschrei aus und schleuderte seinen Schnuller von sich. Um ihn zu beruhigen, musste die dezent geschminkte und aufdringlich duftende Dame mindestens drei Fleischwurstscheiben aus der Glasvitrine holen, die Maximilian sich gierig und ohne die geringste Dankesgeste in den Mund schob. Um der ungemütlichen Sitzung ein Ende zu bereiten, bestellte ich ein »Gourmetensemble fünf Sterne mit Champagner, Kaviar und Canapé de Luxe« für 12
    Personen. Nicht zuletzt deshalb, weil Ludger Thiesbrummel ruhig einmal sehen soll, in welchen Kreisen ich verkehre.
    Der Rückweg war so grauenhaft, dass ich nur ungern daran zurückdenke. Nachdem ich dem unwirsch brüllenden Maximilian und mir einen schmalen Pfad durch ziellos dahintreibende nasse Mäntel gebahnt hatte und es mir endlich gelungen war, mitsamt dem brüllenden Bündel Übergewicht in die U-Bahn einzusteigen, wurden wir nämlich beim Schwarzfahren erwischt, Maximilian und ich. Gerade als ich unglaublich schnaufend und völlig erschöpft auf den Mutter-und-Kind-Sitz gesunken war und Maximilian heftig mit einer alten Frau flirtete, sprang ein Mensch im schlecht sitzenden Trenchcoat auf, verstellte den Ausstieg und rief, er sei der Fahrkartenkontrolleur und ob er mal die Fahrausweise sehen könnte. Ich wurde leichenblass unter Maries Make-up und tat verwundert: Der Fahrschein sei doch eben noch in meiner Tasche gewesen!
    »Das stimmt nicht!«, sagte eine dicke Frau mit ausgebeulter Einkaufstasche hinter mir. »Die Person hat überhaupt nicht entwertet!«
    Ich stammelte, dass ich vor lauter Erschöpfung noch nicht zum Entwerten gekommen sei, weil mein Kind so schwer die Treppen runter zu tragen gewesen wäre, aber der Wachtmeister wies mich an, bei der nächsten Station mit ihm auszusteigen. Dann sagte er etwas in sein Sprechfunkgerät, blieb neben mir stehen, damit ich nicht flüchten konnte und die Leute um uns herum setzten sich aufseufzend in entspannter Haltung hin. Nur die olle Petze mit der ausgebeulten Tasche hielt ihren Fahrschein demonstrativ noch in der Hand, bis wir ausstiegen. Der Kontrolleur musste wohl oder übel am Kinderwagen mit anfassen.
    »Wo bringen Sie mich hin?«, fragte ich meinen Bewacher im Trenchcoat.
    »Ins Hauptgebäude der Stadtwerke«, sagte er herablassend, »das ist nur

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