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Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Titel: Karlas Umweg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Weil ich Ludger nicht sofort herzlich begrüßen wollte, sagte ich »Hallo, Doktor, Sie sollten auch mal in die Tiefen meiner rabenschwarzen Seele schauen!« zu dem Fremden und stellte ihm die zwei Professoren mitsamt ihren Professorentiteln großkotzig vor. Sämtliche albern verkleideten Akademiker gaben einander dienernd die Hand. Natürlich wollte ich Ludger damit ein bisschen imponieren, obwohl ich das nicht nötig habe, denn ein langhalsiger Dornenvogel-Volksschullehrer, halb Kuckuck, halb Esel, mit Nullachtfuffzehn-Papierschiffchen auf dem Kopf ist mir auf jeden Fall ein paar Nummern zu klein. Es handelte sich aber bei dem Mann mit der Kochmütze nicht um James den Unerschrockenen, sondern um den Lieferanten der Delikatessenfirma aus dem KaDeWe, der soeben damit fertig war, das »Fünf-Sterne-Champagner-Kaviarmenü de Luxe« aufzubauen. Wie peinlich, dass ich ihn so unprofessionell verwechselt hatte! Thiesbrummel schien aber gar nichts davon bemerkt zu haben. Er starrte mich nur erwartungsvoll an und ließ seinen Adamsapfel wahre Freudensprünge vollführen.
    »Du hast dich verändert, Karla«, rang er sich von den spröden Lippen. Die beiden Professoren demonstrierten ihr Desinteresse an unserem ohnehin belanglosen Gespräch, indem sie betrachtend die klugen Häupter über das Buffet senkten. Dabei stieß der Kopf von Herrn Prof. Zurlinde mit seiner Stimmgabel an den fünfarmigen Kerzenleuchter, der zum Fünf-Sterne-de-Luxe-Buffet gehörte, woraufhin ein lupenreines »a« ertönte.
    »Du dich nicht, Ludger«, sagte ich freundlich. »Du bist immer noch der Alte.« Das fasste Thiesbrummel vermutlich als lieb gemeintes Kompliment auf, denn er lächelte selig. Dann gaben wir uns die Hand. Als das vorbei war, gab Ludger mir noch einen kleinen Kuss auf die Wange, denn wegen meiner Pappnase konnte er mich leider nicht auf den Mund küssen. Wir standen so im Wohnzimmer herum und er wand sich vor Verlegenheit. Die beiden Profs hatten damit begonnen, sich Kaviarhäppchen und Olivenspießchen in den Mund zu schieben. Nicht gegenseitig natürlich. Jeder sich selbst.
    Die Tür ging auf und Marie kam rein, mit Siegmund Sterz im Schlepptau! Wer hätte das gedacht, dass sie den viel beschäftigten Sänger doch noch zum Kommen hatte bewegen können! Sterz hatte irgendein völlig lumpiges und zerfetztes Kostüm aus der Oper an, er sagte, es sei aus »Turandot«, das gerade hier gespielt würde, und wo er die Basspartie singen würde. »Normalerweise gehört zu diesem Kostüm noch ein abgeschlagener Kopf!«, röhrte er. Er hatte wirklich eine rabenschwarze, tiefe Stimme, wenn er sprach. Seine Erscheinung war so imposant und furchterregend, dass wir alle unwillkürlich einen Schritt nach hinten traten, um ihn eintreten zu lassen. Auch ohne Kopf wäre er noch bei weitem der Größte im Raum gewesen. »Aah«, donnerte er und sein rabenschwarzes Stimmorgan schallte an den Fenstern wider, »etwas zu essen gibt es also auch!« Mit diesen Worten lud er sich sogleich drei Kilo von dem grinsenden Schwein auf den Teller.
    »Da ist er ja, der abgeschlagene Kopf«, sagte Thiesbrummel schräg hinter mir. Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Hielt er Sterz für ein Schwein? Oder sich selbst für einen guten Witzemacher?
    »Karla, kümmere dich bitte um unsere Gäste«, sagte Marie und rannte schon wieder nach draußen, weil es geläutet hatte.
    Es gab aber nichts zu kümmern, weil die Profs und Sterz mit vollen Backen kauten und Ludger nur glubschäugig an der Wand stand und sich an seinem Glas Mineralwasser festhielt. Ich holte den Champagner und drängte jedem ein Glas davon auf. »Prost, meine Herren«, sagte ich fröhlich. Keiner nahm Notiz von mir, nur Ludger, der nun in jeder Hand ein Glas hatte und sich an beiden festhielt, guckte mich an. Wahrscheinlich überlegte er immer noch, inwiefern ich mich verändert hatte, aber ich dachte gar nicht daran, die Pappnase abzunehmen.
    Marie kam nun mit einem kleinen dünnen Mittfünfziger hinein, und ich fürchtete, es könnte der Doktor sein, James Holzapfel. Seine Verkleidung bestand nämlich aus einem Stethoskop, das er sich um den Hals gehängt hatte, und einem kleinen Rückspiegel auf der Halbglatze.
    »Dr. Holzapfel«, sagte Marie stolz. Sie führte ihn dann zu jedem der einzelnen Honorigkeiten, die alle den Mund voll hatten und, um ihn artig zu begrüßen, die Essensberge in die Backentasche schieben mussten. Ludger musste zwar nichts in die Backentasche schieben, aber dafür hatte

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