Karlas Umweg: Roman (German Edition)
Glück ist?
Gestern war die große Karnevalsfete. Außer Marie und mir war überhaupt keine Frau anwesend, bis auf das Dienstpersonal natürlich. Frau Perl und Frau Krotoschyin hatten weiße Schürzen um und altmodische Dienstmädchenhauben auf dem Kopf. Marie hatte diese Kostüme aus dem Theaterfundus geliehen. Das war ja schon mal originell und reizend, fanden auch die Gäste. Ich selbst hatte lange überlegt, mit welcher Verkleidung ich mein momentan so vorteilhaftes Äußeres überhaupt noch verbessern kann. Marie hatte zwar auch für mich eine Dienstmädchenschürze mit Rüschen bereitgelegt, aber ich fand, dass die Querstreifen dick gemacht hätten. Ich ging also in knallengen Jeans, ganz lässig, mit Flicken drauf, dazu Turnschuhe mit Bommeln daran und ein geringeltes T-Shirt mit übergroßen aufgemalten Hosenträgern, echt witzig gestylt! Der Clou war eine rote Clownsnase. Ich fand mich total lässig. Ich hatte darüber nachgedacht, etwas anzuziehen, das weiblich und sexy ist, aber dann den Plan sofort verworfen. Gegen Marie kann man nur verlieren, und so arbeitete ich meine wahren Vorzüge heraus: den lustigen, umkomplizierten Kumpeltyp, mit dem man Pferde stehlen kann. Marie ging als Paradiesvogel. Ihr schwarzes Samtkleid mit dem tiefen Rückenausschnitt war mit hunderten von glänzenden Pfauenaugen aus echten Pfauenfedern verziert. Frau Krotoschyin hat genäht bis zum Umfallen! Auch auf dem Kopf war Marie mit echten Pfauenfedern dekoriert. Sie sah umwerfend gut aus. Und sehr schrill geschminkt. Eben ein richtiger Paradiesvogel.
Als Erster kam Edwin Echtwein in seinem Kastenwagen. Darauf hatte ich gewettet. Er war überhaupt nicht verkleidet und zog sich sofort Maries Missbilligung zu. Ich wurde mit ihm in Maries Schlafzimmer geschickt, um ihm wenigstens die Krawatte abzuschneiden und ihn ein bisschen anzumalen. Marie blieb unten, um die Gäste zu begrüßen. Während ich Echtwein den albernen Stofffetzen abschnitt, der vom Design her sowieso nicht zu seinem lappigen Spargelhemd passte, fragte er mich, ob ich bei dem Wettbewerb blättern würde.
»Wenn Marie mich nicht für Hausarbeiten oder für Maximilian braucht«, sagte ich und bemalte seine eingefallenen Wangen mit Blümchen.
»Ich brauche dich zum Blättern«, entschied Echtwein, während ich ihm ein paar angedeutete Schnurrbartborsten unter die Nasenlöcher malte. »Marie ist besser drauf, wenn du dabei bist.«
»Aha«, sagte ich und piekte ihm noch einige übel aussehende Bartstoppeln auf die Backe. Ich beschloss, Edwin nicht weiter in meine Gedankengänge und Beweggründe einzuweihen, und klopfte ihm auf den Kopf: »Fertig!« Dann drückte ich ihm noch eine Seemannskappe aufs Haupt, die wohl Willem immer beim Segeln aufsetzte.
Edwin machte sich nicht die Mühe, in den Spiegel zu schauen oder mir für meine maskenbildnerische Tätigkeit zu danken, und marschierte wieder hinunter. Marie begrüßte gerade Heyko Zurlinde mit ihrem üblichen Blick. Als sie Edwin auf der Treppe sah, brach sie in wieherndes Gelächter aus.
Der Versuch, ihn zum verwegenen Piraten zu stylen, war jämmerlich gescheitert. Er sah aus wie ein Penner, der sich aus verschiedenen Mülltonnen seine Utensilien zusammengeklaubt hat.
»Herrn Prof. Echtwein brauche ich Ihnen ja nicht vorzustellen, Herr Professor«, sagte Marie, um Beherrschung ringend.
»Ach, Sie sind’s. Echtwein, ich hätte Sie nicht erkannt«, sagte Zurlinde. Er selbst kam als Tonangeber. Das war in jeder Hinsicht originell. Er hatte einen schwarzen Frack an, eine schwarzweiß karierte Weste darunter, ein Monokel am Auge, weiße Handschuhe, mit denen er lässig herumwedelte, und einen Zylinder auf dem Kopf. Obwohl Frau Perl in ihrer Hausmädchentracht die Hände danach ausstreckte, wollte Zurlinde ihn nicht abnehmen. Der Clou war nämlich eine Stimmgabel, die er sich auf den Zylinder drapiert hatte. Sie stand aufrecht in die Höhe und blinkte im Licht. Es war wirklich sehr symbolträchtig.
Marie bat mich, die beiden Herren in den Salon zu begleiten und ihnen Champagner anzubieten, denn es läutete schon wieder an der Tür. Olga bellte pausenlos. Im Wohnzimmer unter den Luftballons standen bereits zwei Männer. Der Eine war Ludger Thiesbrummel, der als Seemann ging: blassblaues Hemd und eine Schirmmütze aus Papier für zwei Mark fünfzig. Einfach und doch so schlicht. Der andere Mann war mir nicht bekannt. Es musste sich um James Holzapfel handeln. Er war nämlich kleinwüchsig und trug eine Kochmütze.
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