Karlas Umweg: Roman (German Edition)
fünfhundert Meter von hier.« Da packte mich die nackte Wut, und nachdem ich zum Losheulen viel zu zornig war, sagte ich zuckersüß, dass er doch bitte den Kinderwagen die Treppen rauftragen solle, ich hätte keine Kraft mehr dazu.
Der Robin Hood der Unterwelt schleppte dann schwitzend und mit zusammengepressten Lippen Maximilian mitsamt Buggy an die 100 Stufen hoch, weil auch hier keine Rolltreppe funktionierte. Oben keuchte er ausgiebig und Schweißperlen standen ihm auf der Stirn.
»Fetter Brocken, was?«, sagte ich schadenfroh. Maximilian klatschte in die Hände und freute sich an den vielen Lichtern der Großstadt.
Der Kontrolleur sagte plötzlich, dass er eigentlich keine Lust hätte, durch das Menschengewühl bis zum Hauptgebäude zu gehen, zumal es davor noch mal eine Treppe gäbe. Er wollte es bei einer mündlichen Verwarnung belassen und ich könnte jetzt meinen Weg fortsetzen.
Damit verließ er mich und verschwand wieder im U-Bahn-Tunnel. Nun stand ich einsam oben im Menschengewühl; Maximilian fing an zu quengeln, weil er müde und überreizt war, und warf sich zornig in seinem Buggy hin und her. Um mich herum rannten und drängelten eilige Menschen. Es war inzwischen dunkel geworden. Autos hupten. Es fing an zu regnen. Nicht zehn Pferde hätten mich wieder in den U-Bahn-Schacht gebracht. Ich blieb oben stehen und heulte. Kein Mensch kümmerte sich um mich oder fragte, ob er helfen könne. Kein Mensch. Alle hasteten vorbei. Ich drängelte mich vor Aggression und Wut stumpf im Kopf zu einer Telefonzelle, stand Schlange, bis ich dran war, ließ Maximilian einfach draußen stehen (er brüllte inzwischen, dass die Telefonzelle wackelte) und rief Willem in der Firma an.
»Der Herr Direktor ist in einer Besprechung.«
»Egal. Soll rauskommen. Es geht um seinen Sohn!«
Hastiges Klicken in der Leitung, dann: »Ja?«
»Bitte, Willem, hol uns ab!«
»Ich hab Großstadtpanik!«, schluchzte ich in den Hörer.
»Wo bist du genau?«, fragte Willem, ganz männlicher Beschützer. Maximilian brüllte zur Untermalung der Dramatik. Leute, die vorbeigingen, schüttelten tadelnd den Kopf. Ich rothaarige Schlampe aber auch. Telefoniere seelenruhig mitten in der Stadt und lasse mein Kind unbeaufsichtigt. Willem versprach, sich sofort ins Auto zu setzen. Ich solle mich nicht von der Stelle rühren, er wäre in zwanzig Minuten da.
Ich rührte mich allerdings doch noch mal von der Stelle, um meine Notdurft zu verrichten, und schlängelte mich und den überladenen Buggy zu diesem Behufe in einen randvollen McDonald’s-Laden. An einem Tisch, wo zwei Frauen saßen und mit beiden Backen genüsslich kauten, ließ ich ihn einfach stehen und rempelte mich durch zur überfüllten Bedürfniszelle. Als ich sehr erleichtert und frisch geschminkt wieder rauskam, saß Maximilian fröhlich kauend neben den Frauen. Sie stopften ihn mit ihren Resten voll.
»Ist der süüüß!«, rief die Eine mit vollem Mund.
»Und sieht so hungrig aus!«, spottete die Zweite. Ich bedankte mich artig fürs Aufpassen und drängelte mich mitsamt dem Buggy wieder hinaus.
Kurz darauf sah ich Willem in seinem Firmenwagen im Halteverbot parken. Ich rannte mitsamt Buggy und kauendem Maximilian auf ihn zu. Er half uns beim Einsteigen, wischte Maximilian mit seinem Taschentuch den Ketchup aus dem Gesicht und schnallte ihn dann auf dem Kindersitz fest. Unendlich erleichtert und entspannt saß ich dann neben ihm. Seine lederbehandschuhten Hände lenkten uns sicher durch den abendlichen Verkehr.
Ich erzählte von der Delikatessenabteilung im fünften Stock des KaDeWe und dass ich für zwölf Personen das teuerste Kaviarbuffet de Luxe bestellt hätte.
»Das hast du fein gemacht, du bist ein tüchtiges Mädchen.« Willem sah kurz zu mir herüber und strich mir mit der Rückhand im Lederhandschuh flüchtig über die Wange.
Maximilian auf dem Kindersitz schnarchte bereits. Er roch nach Ketchup und Kinderpipi.
Ein Glücksgefühl durchströmte mich. So könnte es immer sein! Ich würde von meinem Mann nach einem Einkaufsbummel in der Innenstadt abgeholt, wir führen nach Hause, steckten unseren kleinen Racker in die Badewanne und setzten uns dann mit einem Glas Rotwein auf das weiße! Sofa! Wir streckten unsere Beine aus, legten sie auf den Rand des Wohnzimmertisches und kuschelten uns aneinander. Wir fragten einander: Wie war dein Tag? Und erzählten es uns dann. Wäre das nicht himmlisch? Was muss ich denn noch tun, damit er begreift, wie nahe er an seinem
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