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Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Titel: Karlas Umweg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Einsingen zur Verfügung zu stehen. Obwohl das ganz klar sein Job ist! Echtwein meinte aber zu mir, dass ich dabei eine Menge lernen könne. Ich solle doch froh sein, wenn ich endlich mal Klavier spielen dürfe. Darauf sei ich doch immer so scharf.
    Frau Pfefferkorns Schülerinnen waren die schlimmsten. Die Meisterin brachte sie mir persönlich in den Einsingeraum.
    »Hier, Karla, Sie wissen ja, was Sie zu tun haben! Spielen Sie leise, subtil und hören Sie auf die Stimmen! Es sind meine besten Schülerinnen!«
    »Immer her mit den Stars von morgen«, murmelte ich.
    »Und machen Sie mir diese jungen Talente nicht kaputt!«
    Mit diesen spitzen Worten verschwand Erna mitsamt Nerz und ließ die Mädels verschüchtert bei mir zurück.
    »Also, wer ist die Erste?«, fragte ich und schaute zwischen den aufgetakelten Hühnern in die Runde, die verschüchtert auf der Fensterbank hockten. Alle waren vor Lampenfieber halb tot. Frau Pfefferkorn hatte sie wohl hypnotisiert. Mir war klar, dass von diesen armen Seelen keine einzige in die zweite Runde kommen würde, solange Marie in der Jury saß. Um die Sache hinter uns zu bringen, bestimmte ich dann eine, die anfangen sollte.
    »Was haben Sie mir denn anzubieten?«, fragte ich. Die Frau war bestimmt älter als ich und ich behandelte sie wie eine Klavierschülerin aus Bad Orks. Sie sang dann mit dünner, zittriger Stimme, dass sie die Christel von der Post sei, und ich drosch energisch auf den alten wackeligen Flügel ein. Ich wusste genau, dass Marie sich vor Lachen biegen würde, und entschied, dass die Christel von der Post jetzt eingesungen sei. Die Nächste war eine Fromme mit Brille und einem langen Zopf, der sich an ihrem ausladenden Hintern herabwölbte. Sie sang eine Kirchenarie von Hugo Haumichtot Skalpelli aus dem frühen 17. Jahrhundert, die keine Sau interessierte, mit italienischem Text in deutscher Aussprache. Ihre Stimme war in einen Hauch von Luft und Asthma eingebettet und wagte sich nur an lauteren Stellen ans menschliche Ohr. Ich sagte ihr, dass sie etwas mehr auf Textverständlichkeit achten solle, da die Arie sicher der Jury unbekannt sei, und sie bestätigte mir mit sorgenzerfurchtem Antlitz, dass das auch immer der Arbeitsansatz von Frau Pfefferkorn sei, jedes Mal! Ich überlegte kurz, ob ich ihr sagen sollte, dass sie nicht den geringsten Hauch einer Chance hat, und dass sich die Jury nur über sie kaputtlachen wird, besonders Marie und der erste Vorsitzende, aber ich dachte, dass das sowieso nichts bringt. Sie würde sich nicht vom Vorsingen abhalten lassen, das sah man gleich.
    Die Nächste war sehr dick und hatte einen Hüftschaden. Trotz oder gerade wegen ihres Gehfehlers machte sie einen auf selbstsicher, als sie um den Flügel herum humpelte, um ihre Noten vor mir aufzubauen. Es handelte sich um eine Fotokopie von etwa 26 Seiten, die sie alle aneinander geklebt hatte, mit Tesafilm, damit ich nicht umblättern musste. Der Nachteil an dieser technischen Raffinesse war, dass die zweieinhalb Meter langen Noten wegen ihres Gewichtes mehrmals geräuschvoll zu Boden raschelten. Ich bedauerte, sie auf diese Weise nicht begleiten zu können, aber sie sagte fröhlich, dass Herr Echtwein die Arie der Eboli bestimmt auswendig spielen könne, da sie sehr bekannt sei. Ich habe dann zusammen mit einer Kandidatin, die schon ausgeschieden war, das meterlange Notenwerk ganz langsam an Edwin vorbeifahren lassen; sie zog und ich schob. Währenddessen gab die unvorteilhaft gekleidete Dicke vorne schwankenden Schrittes eine unglaublich mitreißende Vorstellung, in der sie von Rache, Tod und Verzweiflung kreischte. Marie krallte sich unter dem Tisch an Zurlindes Hosenbein fest und Zurlinde tätschelte ihr beruhigend das Knie. Diesmal bemerkte Edwin nichts davon, weil er mit dem Entziffern des fotokopierten Notensalates voll beschäftigt war. Wie alle Pfefferkorn-Schüler schied Eboli mit dem Gehfehler erwartungsgemäß sofort in der ersten Runde aus.
    Bleibt zu erzählen von der jüngsten hoffnungsvollen Pfefferkorn-Schülerin. Sie war eine Meisterin des natürlichen, unverspannten Singens, was sie mir schon in der Einsingeprobe durch einige Gymnastikübungen während meines Vorspiels bewies. Sie sang die schlichte Volksweise: »Sah ein Knab ein Röslein steh’n«. Ich hielt diese Auswahl für unklug, weil man an diesem einfachen Lied eigentlich nicht viel zeigen kann. Es hat drei völlig gleiche Strophen und keinerlei technische Schwierigkeiten wie hohe Töne oder

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