Karlas Umweg: Roman (German Edition)
angegriffen! Mit dem Lockenstab hat sie ihn bedroht! Und sogar ihre elektrische Zahnbürste hat sie nach ihm geworfen! Nein, schlimme Zeiten waren das!«
Ich überlegte ziemlich lange, was ich antworten sollte. Dann sagte ich, das hätte ich ja gar nicht gewusst.
»Oh doch«, antwortete Frau Perl, »so war es. Ich habe immer gedacht, dass hier jemand im Haushalt fehlt, der ein ausgeglichenes Wesen hat und es mit beiden gut aushalten kann. Am schlimmsten hat es die alte Frau Pfefferkorn getrieben …« Frau Perl hielt inne und erging sich in grässlichen Erinnerungen. »Es ist kaum zu glauben«, fuhr sie sinnend fort. Sie polierte die Gläser, bis sie blitzten. »Die Mutter hat dem Herrn Willem dauernd schöne Augen gemacht. Sie hat gesagt, sie sei auch mal hübsch gewesen, und sie könne auch singen, und kochen könne sie obendrein! In einer Tour hat sie ihn umschmeichelt und an ihrer Marie kein gutes Haar gelassen. Nicht zu glauben ist das! So was will ‘ne Mutter sein!«
»Was hat sie denn noch gesagt?«, fragte ich sensationslüstern.
»Sie hat einfach alles versucht, um sich bei ihrem Schwiegersohn beliebt zu machen. Sie hat ständig von früher erzählt, was für eine begabte Sängerin sie gewesen ist und wie aufopferungsvoll sie ihre Karriere für Marie aufgegeben hat und wie viele Männer sie aus Rücksicht nicht geheiratet hat. Und dann hat sie immer mit so einem bestimmten Blick gesagt, dass ihr nur jemand wie Willem gefehlt habe unter den ganzen Bewerbern, den hätte sie auf der Stelle geheiratet.«
»Und was pflegte Willem zu solchen Liebeserklärungen zu sagen?«
»Zuerst hat er sich gefreut und geantwortet, dass er jetzt wenigstens die Tochter der berühmten Erna auf Händen tragen darf. Aber dann hat er gemerkt, dass das der Erna gar nicht recht war. Sie wollte selber auf Händen getragen werden. Sie hat immer schlechter von Marie geredet, hat an allem herumgemäkelt, wie Marie sich anzieht und wie sie sich schminkt, und dass sie morgens gerne lange schläft und so was, und schließlich hat sie behauptet, Marie wäre eine schrecklich schlechte Hausfrau.«
»Das ist ja total aus der Luft gegriffen«, schnaubte ich entrüstet.
»Ja, und dann die ganze Erziehung von dem Kind!«, stöhnte Frau Perl. »Zuerst hat Marie sich überhaupt nicht um das Baby gekümmert. Die Pfefferkorn schleppte es Tag und Nacht mit sich herum und spielte Amme und Glucke und Heilsarmee in einem und machte sich damit schrecklich wichtig. Dann ist es ihr aber zu anstrengend geworden und der Herr Willem musste die Arbeit übernehmen. Die Frau Marie war ganz selten zu Hause, weil sie es bei der Mutter nicht aushalten konnte. Die Frau Pfefferkorn trieb ihr eigenes Kind aus dem Hause, und wenn Sie mich fragen, trieb sie die Marie immer wieder in die Arme anderer Männer. Es gab viel Krach, sehr viel Krach, ja, ja!« In Erinnerung an den vielen Krach wischte sie sich die feucht gewordenen Augen.
»Und weiter?«, drängte ich neugierig.
»Weiter, ja …«, überlegte Frau Perl und ließ das Augentupfen sein. »Dann begann die Karriere von der Frau Marie. Zuerst übte sie für ihr Singexamen. Himmel, nein, was war das monatelang für eine Aufregung hier im Haus! Niemand durfte laut sprechen, das Kind musste immer weggeschafft werden, der Herr von Otten schlief im Gästezimmer, mit dem Kleinen. Dem gab er nachts die Flasche. Frau von Otten musste täglich sechs Stunden üben und den Rest der Zeit schlafen. Oft war sie aber auch gar nicht zu Hause, weil sie mit ihrem Lehrer … so einem Professor … oder auch mit einem Pianisten … so einem Klavierspieler vom Konservatorium …« Sie hielt inne und sagte nichts mehr.
»Ja?«, sagte ich aufmunternd.
»Na ja«, sagte Frau Perl. »Üben musste sie jedenfalls viel.«
»Und da?«
»Die Mutter hat so viel böse Dinge gesagt gegen ihre Tochter, dass der Herr Willem sie einfach vor die Tür gesetzt hat. Die Mutter, meine ich. Sie wohnte ja oben in der Mansarde, die Sie jetzt haben.«
»Ja, ja«, sagte ich ungeduldig. »Ist alles bekannt.«
»Unter lautem Geschrei ist die Mutter dann ausgezogen«, erinnerte sich Frau Perl und fing schon wieder an zu tupfen, »Wörter hat sie noch gerufen!« Das Tupfen ging in Wischen über und ihre Stimme brach unter der Last der Erinnerung an die schlimmen Wörter.
»Und Marie?«
»Ja, die Frau Marie«, sagte Frau Perl und ihre Stimme gewann wieder an Festigkeit, »die hat auch Wörter gerufen.«
»Was für Wörter?«
»Die kann ich hier
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