Karlebachs Vermaechtnis
mich geschlagen, zog einem Ritual gleich Schuhe und Jacke aus und folgte ihr ins Wohnzimmer. Vater Heilig und Miriam, denen ich wieder artig die Hand schüttelte, saßen bereits am gedeckten Tisch. Deborah fehlte. »Muss Deborah arbeiten?«, fragte ich bemüht unverfänglich.
»Die fühlt sich nicht«, antwortete Miriam. Mutter Heilig packte mir nach dem Tischgebet, in dem besonders um die gerechte Strafe für den Einbrecher gebeten wurde, ein Stück Christstollen auf den Teller. »Die Sache mit dem Einbrecher hat sie schrecklich mitgenommen. Ist das nicht furchtbar?«
fch nickte und kämpfte mit dem trockenen Kuchen. »Darf ich sie besuchen?«, fragte ich.
»Auf ihrem Zimmer? Das gehört sich doch nicht!«, antwortete Mutter Heilig. »Oder, Vati, was meinst du?« Vater Heilig schüttelte energisch den Kopf. »Woher wusstest du eigentlich, dass wir Opa Bernhards Lehnstuhl haben?«, fistelte er unvermittelt. In mir schrillten alle Alarmglocken. Ich schaute erstaunt von meinem Kuchen hoch. »Das habe ich so angenommen. Sie sind sein Sohn.«
»Aha.« Er schwieg. »Miriam, hol doch bitte das Feuerzeug!«, befahl er. Miriam verließ das Zimmer und brachte ihre Schwester mit. Deborah würdigte mich keines Blickes und legte das Feuerzeug auf den Tisch.
Vorsicht Falle! Ich suchte nach einem Fluchtweg. Es war das Feuerzeug, das ich bei Simona Zorbas eingesteckt und in jener Nacht im Haus der Heiligs vergessen hatte. Ich verschluckte mich an einem Stollenkrümel. Ein unangenehmes, fast schon aggressives Schweigen erfüllte den immer noch festlich geschmückten Raum. Nur der helle Klang eines Glöckchens, das an einer sich unablässig drehenden Weihnachtspyramide hing, durchbrach die gespenstische Stille. Kling, kling, kling, kling, kling … »Gehört das Feuerzeug dir?«
Das Verhör hatte begonnen. Heilig war der Folterknecht. »Ich bin doch Nichtraucher«, hustete ich. »Du sollst nicht lügen!«
»Gut«, stammelte ich, »ab und zu habe ich schon mal eine geraucht. Ich geb’s ja zu.«
»Uns interessiert nicht, ob du rauchst. Wir wollen wissen, ob das Feuerzeug dir gehört.«
Ich nahm es vom Tisch und betrachtete es. »Ich bin ein vergesslicher Mensch«, sagte ich, »das weiß doch jeder.«
»Du hast unsere Frage noch nicht beantwortet!« Ich drehte das Feuerzeug in meinen Händen und entdeckte auf der Unterseite ein kleines Monogramm: JMA. Amacker, das ist von Amacker. Er hat es Simona geschenkt! blitzte es mir durch den Kopf.
»Nein«, erklärte ich mit fester Stimme, »das Feuerzeug gehört nicht mir.«
»Du lügst«, zischte Deborah.
Ich war inzwischen schweißgebadet. Welches Spiel trieb Deborah eigentlich mit mir? Würde sie mich verraten? Hatte sie es schon getan? Was wussten die Heiligs? »Schaut! Hier ist ein Monogramm!« Ich hielt das Feuerzeug in die Höhe und suchte Deborahs Blick. Sie trug noch immer ein Pflaster über dem linken Auge. »JMA steht dort.
Meine Initialen sind UW. Es kann gar nicht mir gehören.«
»Was wolltest du in unserem Keller?«
»Ich …«
»Bitte beantworte meine Frage!«
»Ich verstehe nicht, was Sie meinen.«
»Ich warte auf eine Antwort.«
»Von welchem Keller reden Sie?«
Kling, kling, kling, kling, kling … Dieses verdammte Glöckchen trieb mich zum Wahnsinn.
»Ich habe Zeit.« Heilig deutete auf seine Familie. »Wir alle haben Zeit, nicht wahr?«
Mutter Heilig gab einen tiefen Seufzer von sich und faltete ihre fleischigen Hände auf dem Bauch. »Das muss ich mir von Ihnen nicht bieten lassen«, begehrte ich auf. »Ich gehe!«
Heiligs Blick ließ das Blut in meinen Adern gefrieren. Ich ging nicht. »Wir warten …«
Kling, kling, kling, kling, kling …
»Gib endlich auf!«, sagte Deborah tonlos. »Ich habe ihnen alles gesagt.«
Mein Herz raste, mein Brustkorb schnürte sich zu. »Was gesagt?«, stotterte ich.
»Dass du mir aufgelauert hast und mich verführen wolltest. Dass ich sündig geworden bin.« Ihre Stimme klang eiskalt und mechanisch, ihr Gesicht war starr, ihre Augen leer. Was hatten sie mit ihr gemacht? »Ich habe ihnen gesagt, dass du der Einbrecher gewesen bist.« Mir wurde übel. »Mein Herz«, stöhnte ich theatralisch, »mein Herz.«
»Du bleibst sitzen!«, befahl Vater Heilig.
Ich blieb sitzen, am Rande einer Ohnmacht, und schloss die Augen. Jeder Folterknecht hätte einfaches Spiel mit mir.
Ich wäre ein dankbares Opfer. Kaum hätten die Folterer ihr Werkzeug ausgepackt, wäre ich schon zusammengebrochen. Ich würde alles gestehen,
Weitere Kostenlose Bücher