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Karlebachs Vermaechtnis

Karlebachs Vermaechtnis

Titel: Karlebachs Vermaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe von Seltmann
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am Abend vor Silvester, als ich mit ihnen und meinem immer noch angeschlagenen Bruder eine Runde Mensch-ärger-dich-nicht spielte. »Den Eindruck habe ich schon länger«, sagte mein Vater. »Du hast Probleme, Ulrich, stimmt’s? Das spürt eine Mutter«, sagte meine Mutter.
    »Der ist bloß verknallt und kann sich nicht entscheiden«, feixte mein Bruder.
    Ich überhörte die Bemerkungen. »Ich brauche Geld!«
    »Kommt nicht in Frage«, sagte mein Vater. »Hast du etwa Schulden gemacht? Bist du in schlimme Kreise geraten?«, fragte meine Mutter mit Tränen in den Augen. »Der muss wohl bald Alimente zahlen«, griente mein Bruder.
    Ich warf ihm einen vernichtenden Blick zu. »Ich muss nach Jerusalem!«
    Mein Vater blies die Backen auf. »Beende erst einmal dein Studium!«
    »Was willst du denn in Jerusalem? Das ist doch viel zu gefährlich«, sorgte sich meine Mutter.
    Ich war genervt. »Vielleicht lasst ihr mich auch mal zu Wort kommen?!«
    »Dann wollen wir mal hören, was sich unser Herr Sohn wieder in den Kopf gesetzt hat«, sagte mein Vater. Ich erzählte die Geschichte vom Judenhaus. Als ich fertig war, legte mein Bruder einen Zwanzigmarkschein auf den Tisch. »Mehr habe ich leider nicht in der Tasche. Aber ich erlasse dir alle Wert- und Spielschulden!« Das war ein Anfang, denn ich musste ihm noch ein halbes Jahr lang monatlich einhundert Mark zurückzahlen, die ich beim Pokern verloren hatte.
    Meine Eltern mahnten mich noch einmal, mich auf mein Studium zu konzentrieren und den Beruf des Pfarrers, zu dem ich trotz meines bisweilen liederlichen Lebenswandels zweifellos berufen sei, nicht aus den Augen zu verlieren, und gingen zu Bett.
    Ich blätterte in einer antiquarischen Ausgabe von Schopenhauers Die Welt als Wille und Vorstellung, starrte in den Weihnachtsbaum und suchte nach dem Sinn des Lebens. »Auf zum Andi«, schlug mein Bruder vor, »vielleicht fällt dem ja was Gescheites ein.«
    Andi war ebenso erkältet wie mein Bruder. Ich schlug vor, einen Glühwein zu kochen - für die beiden Kranken zur Genesung, für mich als Vorbeugung. Der Vorschlag wurde angenommen, wir trugen die Zutaten zusammen, ließen uns im Kartoffelkeller nieder und erwärmten das Gebräu mit Hilfe des Bunsenbrenners, den Andi mittlerweile repariert hatte. Ich brachte mein Geldproblem zur Sprache, aber Andi hatte auch keine Idee. Bei ihm hatte ich bedauerlicherweise bereits alle Schulden abgetragen. Wir schlürften schweigend vor uns hin. Eine nachdenkliche Stimmung machte sich breit.
    Ich räusperte mich, zweifellos unter dem Einfluss Schopenhauers stehend. »Alles im Leben gibt kund, dass das irdische Glück bestimmt ist, vereitelt oder als eine Illusion erkannt zu werden«, sagte ich feierlich. Andi und mein Bruder schauten sich fragend an. »Ja«, fuhr ich fort, »demgemäß fällt das Leben der meisten Menschen trübselig und kurz aus. Ich denke, heute ist der rechte Zeitpunkt, das einmal deutlich zu sagen. Wer weiß, wie viel Gelegenheit uns noch bleibt.«
    »Sag mal, bist du krank?«, fragte Andi. »Hast du etwa Krebs?«
    »Oder Liebeskummer?« Mein Bruder sorgte sich. »Ist es so ernst?«
    »Nein«, sagte ich, »mir geht es gesundheitlich gut. Aber ich spüre einfach, ich werde nicht mehr lange unter euch sein.« Ich holte tief Luft. »Opa Bernhard hat das auch vor seinem Tod geahnt, dass er bald sterben muss.« Mein Bruder und Andi grinsten verlegen, kratzten sich und stammelten Unverständliches. Mein Bruder fasste sich als Erster. »Wer soll denn dann deine Schallplattensammlung erben?«
    »Meine Platten sind das Einzige, was ich wirklich besitze«, sagte ich. »Ihr zwei und mein treuer Studienfreund Klaus König, genannt Herr Kaiser, sollt sie gerecht unter euch aufteilen.«
    Andi umarmte mich. »Danke«, stammelte er. Dann umhalste mich mein Bruder. »Bruder«, sagte er, »wir werden dich nie vergessen.«
    Wir sprachen noch ein wenig über den Ablauf meiner Beerdigung, stritten uns über den Sinn des Lebens und begaben uns dann nach Hause.
    Als ich am Silvestermorgen erwachte, wusste ich, dass ich diesen Tag nie vergessen würde. Heiligs hatten mir ausrichten lassen, ich könne nachmittags Opa Bernhards Lehnstuhl abholen. Ich klappte die Rückbank meines Florian um und fuhr zu ihnen.
    »Ist das schön, dass du uns schon wieder besuchst«, empfing mich Mutter Heilig an der Tür. »Ich habe eigentlich nicht so viel Zeit«, entgegnete ich. »Aber für eine Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen hat doch jeder Zeit!«
    Ich gab

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