Karlebachs Vermaechtnis
auch das, was ich nicht getan hätte. Ich würde meine Freunde verraten, meine Ehre verkaufen. Kling, kling, kling, kling, kling … »Dass ich der Einbrecher bin?«
»Ja. Du hast mir aufgelauert und wolltest mich verführen.«
»Unsere Deborah ist ein anständiges Mädchen«, schaltete sich Mutter Heilig in das Verhör ein. »Sie hat uns gleich berichtet, dass du…, dass du sie in Sünde gestürzt hast.« Ich zwang mich, Ordnung in meine Gedanken zu bringen. Warum erwähnte niemand von den Heiligs die Karlebach’sehen Briefe? Was sollte ihr Geschwafel von Verführung und Sünde? Was hatte ihnen Deborah wirklich erzählt?
»Ich bin mir keiner Schuld bewusst», ging ich in die Offensive. »Ich habe Deborah nicht vergewaltigt, wenn Sie das meinen. Ich habe etwas ganz Bestimmtes gesucht in Ihrem Keller, das wissen Sie genau! Etwas, das mir zusteht. Und das wissen Sie auch! Sie haben etwas zu verbergen. Sie haben auf mich geschossen.«
Die Heiligs empörten sich. Deborah wich meinem Blick aus. Wieder war nur das monotone Klingeln des Glöckchens zu hören.
»Was sollen wir nun mit dir machen?«, schnaufte Heilig. Meine Offensive schien erfolgreich. Heilig trat den Rückzug an. Das Blatt hatte sich gewendet. Es gelang mir, seinen kalten Augen auszuweichen. Ich hatte mich endgültig wieder gefangen: »Geben Sie mir Karlebachs Briefe, dann lasse ich meine Finger von Ihrer Tochter.«
Vater Heilig grinste mich überlegen an. Sein gerötetes Gesicht war nichts als Triumph. Im Gefühl des sicheren Sieges lehnte er sich zurück, wie ein Schachspieler, der seinen Gegner aus einer aussichtslosen Lage heraus noch matt gesetzt hat. Er labte sich an meiner Niederlage. »Wir könnten dich anzeigen«, sagte er kühl. »Es würde dir schwer fallen, das Gegenteil zu beweisen. Deborahs Verletzung hat jeder gesehen. Eine Anklage wegen versuchter Vergewaltigung …«
Kling, kling, kling, kling, kling …
Heilig fuhr sanft fort: »Aber so sind wir nicht. Wenn du uns versprichst, die Finger von unserer Tochter zu lassen, vergeben wir dir. Du hast die Wahl. Es liegt allein an dir.«
12
Ich fuhr ohne Opa Bernhards Lehnstuhl nach Hause, ohne Hoffnung, jemals Karlebachs Briefe zu erhalten. Niemals zuvor hatte ich mich so gedemütigt gefühlt. Mit Platzpatronen, hatte Heilig noch zum Abschied gehöhnt, mit einfachen Platzpatronen habe er auf mich geschossen. Und ich sei mit vollen Hosen davongerannt wie ein dummer Schuljunge. Er habe mich in jener Nacht gleich erkannt. Wie ein Volltrottel - er sagte wirklich: Volltrottel - sei ich in dem Licht des Strahlers gestanden. Er habe auch gewusst, dass ich mich in dem Keller versteckt hielt. Aber er habe mich zappeln lassen. Dass ich so schnell einen Ausgang gefunden hätte, nun, das hätte er nicht erwartet, aber er habe trotzdem seinen Spaß bekommen. Ich hasste Heilig. Zum ersten Mal in meinem Leben hasste ich einen Menschen.
Von unterwegs rief ich Simona an, dass mir die Lust auf eine Feier vergangen sei. Ich erzählte ihr von dem Verhör bei Heiligs.
»Bitte, komm doch!«, bat mich Simona. »Du brauchst jetzt Hilfe, und ich kümmere mich um dich.« Ich ließ mich überreden, schluckte eine Hand voll Baldrianpillen und fuhr in die Stadt. Unentwegt dachte ich an Deborah. Was hatten sie mit ihr angestellt? Gehirnwäsche? Oder hatte ich sie mit meiner Feigheit so tief verletzt, dass sie sich an mir rächen wollte?
»Du bist ja völlig am Ende!« Simona gab mir besorgt einen Kuss. Sie trug schwarze Strümpfe und einen hellen Strickpullover. Ich hatte jedoch keinen Blick für ihre umwerfende Figur.
»Weißt du was«, schlug sie vor, »du nimmst jetzt ein Entspannungsbad!«
Ich ließ mich willenlos ins Designerbad führen. Simona goss eine Kräutermischung ins Wasser und begann mich zu entkleiden.
»Wir haben immer noch keinen Sex miteinander gehabt«, lächelte sie.
»Nicht?«, fragte ich geistesabwesend. »Du bist ein schöner Mann!«
»Da kann ich mir auch nichts für kaufen.« Ich stieg in die Wanne und tauchte unter. »Das tut gut«, seufzte ich. »Das auch?« Simona massierte meinen Nacken und kraulte mit ihren spitzen, rotlackierten Fingernägeln meinen Brustkorb.
»Ja«, stöhnte ich und schlief ein.
Ich erwachte mit einem Geschmack von Jasmin auf der Zunge. Ich hatte von Heilig geträumt, der mich in einem dunklen Verlies auf einen Stuhl gefesselt hatte und mich zwang, Karlebachs Briefe aufzuessen. Eigenartigerweise verflüssigten sich die Briefe in meinem Mund, und
Weitere Kostenlose Bücher