Karlebachs Vermaechtnis
Schrottkiste …«, fragte Simonas Bruder.
»Mein Florian war keine Schrottkiste«, sagte ich beleidigt. Der Polizist versprach, die Angelegenheit zu untersuchen. Ich sollte am Tag nach Neujahr ins Polizeipräsidium kommen.
Ich ließ mich auf ein Sofa fallen und genehmigte mir ein Bier auf Ex. Das Interesse der Partygäste an meinem Schicksal hatte etwa so lange gedauert wie das Schmelzen der Eiswürfel in ihren Cocktailgläsern. Als ich das zweite Bier hinuntergekippt hatte und sich ein leichter Nebel in meinem Hirn bildete, fühlte ich mich besser. Ich streckte meine Beine auf einen gläsernen Beistelltisch und freute mich an den missbilligenden Blicken.
»Die Simona fällt von einem Extrem ins andere«, hörte ich hinter mir eine Frauenstimme tuscheln. »Erst der gelackte Amacker, jetzt ein Verlierertyp.«
»Aber süß ist er«, sagte eine andere Frauenstimme. »Mal sehen, wie der Nächste aussieht.«
»Ich würde dann den hier nehmen.«
»Und Simona kann sich dann wieder von Pietsch trösten lassen!« Jetzt prusteten beide los. »Oder von Frick!« Beide kicherten albern.
»Hallo, Simona, wie geht es dir«, grüßte die Erste, als Simona an ihnen vorbeihuschte.
Simona lächelte ein »Danke, gut« und hockte sich neben mich. »Sei doch nicht traurig«, sagte sie tröstend. »Mein Florian«, jammerte ich. »Er war mein erstes Auto. Ich habe ihn gehegt und gepflegt - sofern ich genügend Geld hatte. Wir haben so viel gemeinsam durchgemacht. Er hat mich nie im Stich gelassen.«
»Sag mal …«, überlegte Simona, »hattest du den Wagen abgeschlossen?«
»Wahrscheinlich nicht. Das vergesse ich meistens.«
»Dann hat sich vielleicht jemand einen Silvesterscherz erlaubt?«
»Was seid ihr denn so traurig?« Eine Blondine, die ich vom Sehen kannte und die bei Frick in der Werbeabteilung arbeitete, kniete sich vor uns. »Regina!«
»Simona!«
Die beiden fielen sich um den Hals und busselten sich ab. »Ich muss dir unbedingt meinen neuen Lover vorstellen«, sagte die Blondine. Die beiden stöckelten davon. Ich blieb allein zurück. Neben mir diskutierten zwei Schlipsträger über den Dax-Index, hinter mir unterhielt sich ein Grüppchen über Steuerabschreibungsmodelle im Osten, vor mir kicherten drei Frauen ohne Unterlass. Als sich eine von ihnen löste und - von den anderen beiden beobachtet - in meine Richtung tänzelte, wurde mir eines klar: Ich musste hier raus.
Ich schlich zum Telefon und überlegte, wer mich retten könnte. Mein Kumpel Andi war über Silvester zu seinen Schwiegereltern gefahren, mein Bruder wollte zu einem Klassenkameraden, der Herr Kaiser wohnte zu weit weg, Deborah, ja Deborah … Vielleicht … Ich wählte die Nummer vom Altenheim, aber legte den Hörer sofort wieder auf. Mir wurde schmerzlich bewusst, wie wenig Freunde ich hatte. Helmut kam mir in den Sinn. Helmut lebte zurückgezogen wie ein Eremit, hörte seinen Blues und schrieb immer an irgendeiner wissenschaftlichen Abhandlung oder an einer philosophischen Betrachtung. Außerdem ignorierte er grundsätzlich alle Festtage wie den dritten Oktober, Weihnachten oder Silvester. Er musste zu Hause sein. Ich rief ihn gleich an. »Helmut«, sagte ich, »bist du noch fit?«
»Nein, ich habe zehn Frauen eingeladen und bade in Champagner. Die Orgie hat ihren Höhepunkt erreicht. Was ist los?«
»Ich würde gerne mitfeiern. Kannst du mich abholen?« Ich nannte ihm die Adresse.
»Wer wird denn an Silvester Trübsal blasen?« Simona und Regina nahmen mir den Hörer aus der Hand und zerrten mich in ihre Mitte. »Gleich beginnt das Feuerwerk. Wir wollen nach draußen.«
»Herrlich«, schwärmte Regina, »da freue ich mich das ganze Jahr drauf! Die Sicht von hier oben ist einfach phantastisch. Die vielen bunten Lichter und Farben. Einfach phantastisch! Wunderbar und phantastisch!« Wir passierten den Kühlschrank. »Stopp», sagte ich, »ein phantastisches Bier wartet auf mich.«
»Nun komm endlich. Die anderen sind schon weg!«, drängelten die beiden. »Ich geh nicht mit!«
»Doch! Du kommst mit!« Simona riss mir die Flasche aus der Hand, Regina hakte sich bei mir unter. Ich ergab mich widerwillig meinem Schicksal. Auf der Straße entdeckte ich Helmuts alten Daimler.
»Ich muss jetzt fort«, sagte ich zu Simona. »Ich wünsch’ dir einen guten Rutsch und noch eine schöne Feier.«
»Das kannst du nicht machen! Wo willst du hin? Bleib hier!« Simona wurde fast hysterisch.
Ich stieg in Helmuts Daimler. »Irgendjemand«, sagte ich,
Weitere Kostenlose Bücher