Karlebachs Vermaechtnis
erfolglose Werben des Schüchternen nicht länger mit ansehen und ging in mein Zimmer. Zum Glück hatte ich meinen Schlafsack mitgenommen, denn der Raum besaß keine Heizung. Draußen regnete es ohne Unterlass.
Aus dem Lautsprecher einer Moschee, in deren Gebetsraum ich von meinem Fenster aus schauen konnte, knarzte der Allah-u-akbar-Ruf des Muezzin. Irgendein Radio ließ einen schmachtenden Sänger, unterstützt von süßlichen Geigen und einem fremdartigen Trommelrhythmus, unaufhörlich »Habibi wa habibi« singen. Ich wickelte mich in meinen Schlafsack und dachte an Simona. Während des Fluges hatte ich in einer Illustrierten gelesen, dass man vier Wochen um eine zerbrochene Beziehung trauern und sich dann zu neuen Taten, sprich neuen Frauen, aufmachen sollte. Die Weltuntergangsstimmung, die sich über Jerusalem ausgebreitet hatte, war genau der richtige Zeitpunkt, mit der Trauerarbeit zu beginnen.
Es klopfte an die Tür. Ahmed trat herein, in der einen Hand ein Heizöfchen, in der anderen eine dampfende Tasse Tee. »Snow is Coming«, sagte er und platzierte das Ofchen auf dem Holztisch.
Ich schälte mich aus meinem Schlafsack und wärmte meine Hände an der Tasse. Ahmed schloss das Ofchen an eine Steckdose an, brachte es mit einem Schraubenzieher in Gang und ein paar Funkenschläge später verströmte es eine zwar unangenehm riechende, aber wohl tuende Wärme. »Shukran«, bedankte ich mich bei Ahmed. »Afwan.« Ahmed ging mit einem Lächeln. Ich holte meinen Block hervor, kauerte mich vor das Ofchen und begann die Ereignisse der vergangenen Tage niederzuschreiben. Mein Tagebuch endete mit einem Eintrag vor acht Tagen, als ich mit Simona ins Italienische Eck spazierte. Dort war es wärmer als jetzt in Jerusalem, dachte ich frierend.
An jenem Nachmittag hatten mein Kumpel Andi, mein Bruder und ich Röthers Gewehr erbeutet. Stolz über unseren gelungenen Coup erreichten wir das Haus meiner Eltern, wo Helmut schon auf uns wartete. Wir zeigten triumphierend unsere Trophäe, ließen uns von meiner Mutter einen Kaffee einschenken und schilderten ausführlich unsere Heldentat. Helmut hatte sein Aufnahmegerät eingeschaltet, damit nichts für die Nachwelt verloren ging. Mein Kumpel Andi war in seine Wohnung geeilt, um in seinem kleinen Labor die Fotos zu entwickeln, die er vom Hochsitz aus geschossen hatte. Wir warteten gespannt auf das Ergebnis. »Ist Ihnen nicht gut, Fräulein Zorbas?«, fragte meine Mutter, wie immer um jeden Menschen besorgt. Simona versuchte ein Lächeln. »Ich habe ein wenig Kopfweh. Das war ein bisschen viel für mich heute Nachmittag.«
»Möchten Sie vielleicht eine Tablette? Ohne eine Antwort abzuwarten, war meine Mutter schon aufgesprungen. Mein Vater fragte, was wir weiter geplant hätten. »Das hängt davon ab, was uns Frau Zorbas erzählen wird«, sagte ich mit ernstem Gesicht.
Alle Augen waren auf Simona gerichtet. Sie schaute unter sich. Das Make-up, das sie frisch aufgetragen hatte, konnte ihre Blässe nicht überdecken.
»So, hier ist Ihre Tablette.« Meine Mutter reichte ihr ein Glas Wasser.
»Ich möchte mit dir alleine sprechen«, sagte Simona leise. »Und nicht auf dieses Gerät.«
»Ihr wolltet mir eine Falle stellen, stimmt’s?«, begann sie im Arbeitszimmer meines Vaters. »Das gehörte zu unserem Plan«, entgegnete ich kühl. Wir stierten beide in entgegengesetzte Ecken des Zimmers. »Und jetzt glaubt ihr, ich hätte dir diesen Röther auf den Hals gehetzt?«
»Alle Indizien deuten daraufhin.«
Simona schwieg. »Darf ich hier eine Zigarette rauchen?«
»Wenn du dir meinen Vater zum Feind machen willst, ja.«
»Dann lass uns bitte nach draußen gehen.« Simona zündete sich eine Zigarette an. Hastig inhalierte sie, in ihren Mantel eingehüllt, einige Züge. Es war dunkel und frostig geworden. Meine Hände in die Hosentasche gesteckt, trat ich von einem Fuß auf den anderen. »Es kann doch kein Zufall sein«, sagte ich, »dass ich mit dir eine Party feiere und mein Auto endet als Schrotthaufen. Zwei Tage später gehe ich mit dir im Wald spazieren und Röther schießt auf meinen Axel.«
»Und wenn es doch Zufall ist?«
»Nur der unbegreiflichen Dummheit Röthers habe ich es zu verdanken, dass Axel noch lebt.«
Simona zündete sich an ihrer Zigarette gleich die nächste an.
»Es war Zufall, glaub mir.«
»Du weißt mehr, als du sagst.«
»Was willst du denn hören?«, fuhr sie mich an. »Dass ich mit Pietsch oder Frick oder was weiß ich, wen du alles
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