Karlebachs Vermaechtnis
tschüss!«
»Nein, es ist nicht so, wie du denkst.« Simona ergriff meinen Arm. »Ich habe ihm nicht Bescheid gesagt. Es ist einfach dumm gelaufen.«
»Dumm gelaufen«, äffte ich sie nach. »Ich wollte gerade gehen, nachdem du bei mir geklingelt hattest, da rief Pietsch an. Er wollte von mir wissen, wo du steckst. Ich habe gesagt, ich weiß es nicht. Dann hat er mich in ein Gespräch verwickelt. Wir unterhielten uns über belangloses Zeug. Plötzlich fragt er, ob wir, also er und ich, uns am Nachmittag treffen können. Er habe Sehnsucht nach mir und brauche mich. Dann ist es mir herausgerutscht. Ich sagte ihm, dass ich bei dem schönen Wetter spazieren gehen wolle. Im Italienischen Eck.«
»Deshalb warst du so nervös?« Simona nickte.
»Und warum hast du mir nichts gesagt?«
»Ich weiß es nicht.« Sie hob ihre Hände. »Ich hatte irgendwie ein ungutes Gefühl, weil Pietsch plötzlich so kurz angebunden war. Aber ich konnte ja nicht wissen, dass er … Außerdem kam ich mir albern vor.«
»Ich habe schon bessere Märchen gehört.«
»Du musst entscheiden, ob du mir glauben willst. Ich kann dich nur darum bitten.«
»Was hat Pietsch mit der Geschichte zu tun?«
»Ich weiß es nicht. Er sagte nur, es sei wichtig für ihn, gerade jetzt im Wahlkampf, dass nicht irgendwelche Gerüchte gestreut werden. So kurz vor dem Ziel wolle er sich nicht noch abfangen lassen.«
»Pietsch hat dir eine Stelle im Ministerium versprochen, stimmt’s?«
Simona senkte ihren Kopf.
»Und deshalb hast du versucht, mich von der Geschichte abzubringen?«
Simona hängte sich ihre Tasche über die Schulter, blickte mich noch einmal mit ihren Kulleraugen an und verschwand hinter der Hausecke.
»Scheißweiber«, knurrte ich, als ich Helmut erblickte. »Du brauchst mir nichts zu erzählen«, sagte er, »ich habe alles mit angehört.«
»Ja, das habe ich gerochen. Dein Kommentar zu ihrer Geschichte?«
»Ich weiß nicht, ob sie lügt.« Er sog bedächtig an seiner Pfeife. »Sie ist ehrgeizig, will Karriere machen und ist bereit, dafür einen hohen Preis zu zahlen. Ich trau ihr nicht.« Bevor Helmut die Sonne aufsuchte, um den zweiten Teil unseres Planes umzusetzen, betrachteten wir die Fotos von Kumpel Andi.
»Bewirb dich bei der Lokalpost als Paparazzo«, lobte Helmut. »Du könntest ein reicher Mann werden.«
Auf den Fotos war deutlich zu erkennen, wie Röther uns belästigte, Axel in die Seite trat und sein Gewehr auf den Hund richtete. Am besten gefiel uns das Bild, das meinen Bruder in einer grauen Uniform zeigte, die er nach seinem Dienst beim Heeresmusikkorps 100 der Bundeswehr nicht zurückgegeben hatte. Röther, wie ein Pawlow’scher Hund darauf gedrillt, vor jeder Uniform ehrfürchtig stramm zu stehen, überreichte ihm das Gewehr. Mein Bruder war gerade noch rechtzeitig eingetroffen. Die Angst, nach Florian auch meinen treuen Axel zu verlieren, steckte mir noch in den Knochen.
»Auf in die Höhle des Löwen«, sagte ich und holte Axel aus seiner Hütte. Zu Pietschs Villa war es nicht weit. Er bewohnte das Haus seiner Eltern, die einmal ein Möbelgeschäft besaßen und in der Nähe des Sägewerks gebaut hatten. Nach dem Selbstmord von Pietschs Vater in den fünfziger Jahren hatten sie das Geschäft nach und nach aufgelöst und das Haus umgebaut. Inzwischen war ein ansehnliches Anwesen entstanden. Pietschs dunkle Limousine parkte vor der Garage, in seinem repräsentativen Wohnzimmer, das ich von der alljährlichen Einladung des Posaunenchores kannte, brannte Licht. Hinter der Gardine zeichnete sich eine birnenförmige Silhouette ab.
»Ich soll sagen, mein Papa ist nicht zu Hause«, lispelte Pietschs Tochter durch ihre Zahnspange, als sie mir die Tür öffnete.
»So?«, fragte ich. »Und wer ist dann der dicke Onkel hinter der Gardine? Hat deine Mami einen neuen Liebhaber?« Pietsch hatte noch zweimal bei meinen Eltern angerufen und mir ausrichten lassen, dass er mich am Abend erwartete. Er musste also zu Hause sein.
»Was ist denn ein Liebhaber? Oh, ist der Hund süß! Den will ich streicheln. Wie heißt er denn?«
Axel verzog angewidert das Gesicht und versuchte den Zärtlichkeiten zu entfliehen. Ich läutete noch einmal. »Wer ist denn da?«, hörte ich Pietschs Frau rufen. »Einer vom Posaunenchor! Der Onkel, den Papi am Heiligabend umbringen wollte.«
Pietschs Frau, die wesentlich jünger war als ihr Gatte, zeigte sich an der Tür.
»Ach so, Sie sind’s.« Sie bat mich hinein. »Aber der Hund muss draußen
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