Karlebachs Vermaechtnis
Ihr Bein hochlegen!« Unter ihrem strengen Blick wagte ich keine Widerrede. »Sie sprechen Deutsch?«, fragte ich stattdessen.
»Nur ein wenig«, antwortete sie bescheiden. »Ich muss noch lernen, weil ich im Sommer in Österreich einen Vortrag halten soll über die Auswirkungen von Krieg bei Kindern. Ab August möchte ich für ein halbes Jahr in einer Kinderklinik hospitieren. Vielleicht in Wien, vielleicht in Dresden.« Sie drückte mir eine Schachtel mit Antibiotika in die Hand und fragte, ob es stimme, dass ich bei Ahmed wohne. Ich bejahte.
»Lümmelt dieser Taugenichts immer noch den ganzen Tag auf seinem Sofa herum?«
»Nun ja…«, versuchte ich meinen Freund zu verteidigen. »Dann rufe ich ihn an. Er soll auf Sie aufpassen! Er ist mein Cousin, er tut, was ich sage.«
Ahmed tat wirklich, was seine Cousine ihm aufgetragen hatte. Mehrmals täglich kontrollierte er, ob ich mein Bein hochgelegt hatte. Er brachte mir eine Falafel, Tee oder am Abend einen Arrak, einen heimischen Anisschnaps, der laut Ahmed besser war als jede Medizin. Anfangs hatte er sich noch mit betrübter Miene entschuldigt, dass er sich nicht gegen den Willen seiner Cousine auflehnen dürfe, doch als er mich beim Backgammon immer häufiger besiegte, wurden ihm die Kontrollbesuche zum Vergnügen. Ich ärgerte mich, dass ich die wertvollen Tage in Jerusalem in einem billigen, muffeligen Hotelzimmer verbringen musste und nicht mit Mr. Heller sprechen konnte, und wurde immer verdrießlicher. An Deborah, die ich am Abend vor meiner Abreise noch einmal in ihrem Altenheim aufgesucht hatte, schrieb ich einen bitterbösen Brief, in dem ich mich darüber beklagte, dass die Wirkung der Valium-Tabletten, die sie mir zugesteckt hatte, gleich null war und ich während des Fluges vier Stunden Todesängste ausstehen musste. Sie könne es nur wieder gutmachen, teilte ich ihr mit, wenn sie den Inhalt von Karlebachs Briefen an Opa Bernhard herausfinde und mir zuschicke.
Tag und Nacht dachte ich an Fatma Franghi. Eines Nachts träumte ich sogar, sie wäre zu einem Hausbesuch gekommen. Ich genoss jede Sekunde der Behandlung. Doch nach meinem Erwachen sank meine Laune auf der nach unten offenen Skala in den Minusbereich. Als mir die Lokalpost ein Fax mit der Frage sendete, wann sie endlich mit der ersten der drei Reisereportagen für die Wochenendbeilage rechnen dürfe, zu denen mich Chefredakteur Stumpf noch verpflichtet hatte, färbte sich das Stimmungsbarometer dunkelrot. Ein neues Rekordtief entwickelte sich am dritten Tag meiner Bettlägerigkeit, als der Herr Kaiser telefonisch mitteilte, dass der Professor mir keinen Seminarschein ausstellen werde, obwohl er ihm nachdrücklich mitgeteilt habe, ich hätte plötzlich wegen dringender judaistischer Forschungen nach Jerusalem reisen müssen. Das war das Ende. Wenn mir die Lokalpost keinen Redakteursvertrag anböte, stünde ich zu Beginn meines vierten Lebensjahrzehnts vor dem beruflichen Nichts.
Nach vier endlosen Tagen war ich froh, mit Yassir zur Nachuntersuchung meines Fußes in Doktor Naseers Praxis fahren zu können. Ein heftiger Winterregen prasselte auf das judäische Bergland nieder und übersäte die Straßen mit Pfützen. Die Kanalisation hatte den Kampf gegen die Wassermassen längst verloren. »Viel Regen diesen Winter«, freute sich Yassir, »das gibt eine gute Ernte.« Doktor Naseer untersuchte die Wunde persönlich und lobte mich für mein diszipliniertes Verhalten. Allerdings werde der Heilungsprozess noch ein paar Tage dauern und ich solle den Fuß weiterhin schonen. »Haben Sie kommenden Sonntag schon etwas vor?«, fragte er, während die Rechnung geschrieben wurde und wir eine Tasse Kaffee tranken. Ich verneinte.
»Ich gebe am Sonntag einen kleinen Empfang«, sagte er. »Ich würde mich freuen, Sie als meinen Gast begrüßen zu dürfen.«
Ich lehnte die Einladung zunächst ab, wie es in meinem Reiseführer empfohlen wurde, und sagte, dass es zu viel der Ehre sei.
»Sie haben wohl in einem Reiseführer gelesen, dass man die Einladung von Arabern dreimal ablehnen soll, bevor man sie annimmt?«, schmunzelte Doktor Naseer. »Weil sie angeblich nicht ernst gemeint sind.«
Ich nickte etwas verlegen.
»Diese Einladung ist ernst gemeint«, sagte er noch einmal. »Es kommen viele interessante Leute. Yassir wird sie zu meinem Haus bringen.«
»Kommt Fatma Franghi auch?«, rutschte mir heraus. »Sie gefällt Ihnen wohl?«, grinste Doktor Naseer. »Es dürfte ihr sicher nicht schaden, wenn Sie
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