Karlebachs Vermaechtnis
mit ungelenken lateinischen Buchstaben eine Adresse gekritzelt hatte. Darunter stand etwas in Arabisch. »Doktor Naseer, ein Verwandter von mir. Aus einem Dorf bei Bethlehem. Ein guter Mann,« sagte er und schickte mich zum Taxistand beim Damaskustor, wo ich nach Yassir, einem weiteren Verwandten, fragen sollte. »Er bringt dich hin.« Mühsam humpelte ich los. Von Schabbatruhe war im arabischen Teil Jerusalems nichts zu merken. Die Händler hatten ihre Stände mit Obst und Gemüse aufgebaut und priesen leidenschaftlich ihre Ware an, die Käufer feilschten nicht minder laut um jeden Schekel. Drei oder vier Moneychanger fragten mich, ob ich Geld tauschen wolle. Es roch nach verbranntem Fett, süßem Honig und Gewürzen, überall quäkten Lautsprecher mit arabischer Discomusik. Vor dem Tor hatten sich dicke Beduinenfrauen in kunstvoll bestickten Gewändern niedergelassen, um Kräuter oder Kleider zu verkaufen. Eine alte Frau kauerte auf dem Boden und bot auf einer Decke Stahlwolle, Putzlappen und Scheuermittel feil. Ein paar israelische Soldaten saßen in ihrem Jeep und beobachteten gelangweilt, wie sich ein kleiner Junge mit einem riesigen Handkarren durch das Gewühl quälte. Als er mit dem rechten Hinterrad einen Stand mit Apfelsinen und Pampelmusen umriss, lachten sie. Der Junge bekam von dem Händler eine schallende Ohrfeige und fing an zu schreien. Alles zeterte wild durcheinander. Ich schnappte mir eine Orange, die vor meine Füße rollte, und erwarb bei einem Teeverkäufer, der sich eine überdimensionale goldglänzende Kanne auf den Rücken geschnallt hatte, ein Glas süßen Schwarztee.
Von meinem Platz aus konnte ich den Taxistand überblicken und ich versuchte mich zu orientieren. Ein drahtiger Araber in dunkler Hose und weißem Hemd organisierte das Chaos. Unüberhörbar verkündete er die Fahrtziele und verteilte die ankommenden Fahrgäste auf die stinkenden Dieselkarossen. »Bethlehem! Nablus! Jericho! Ramallah! Hebron!« Wenn ein Wagen besetzt war, schlug er kurz auf die Motorhaube und schickte damit den Fahrer los. Ich humpelte auf ihn zu und erkundigte mich nach Yassir. »Yassir! Yassir!«, gestikulierte er, »welcher Yassir?« Ich zeigte ihm Ahmeds Zettel.
»Ah, Yassir Bader!« Seine Miene hellte sich auf und er eilte zu einem beigen Daimler, der gerade abfahren wollte, sprach mit dem Fahrer und reichte ihm den Zettel. Dann zerrte er einen jungen Mann, der sich heftig sträubte, wieder aus dem Wagen heraus und winkte mir zu. Ich wurde auf den Vordersitz neben einen zahnlosen Alten platziert, der mich freundlich anlächelte. Auf die beiden anderen Sitzreihen quetschten sich zwei dicke Frauen, von denen sich eine verschleiert hatte. Sie redeten unaufhörlich aufeinander ein und versuchten nebenbei, ihre tobenden Kinder mit Süßigkeiten zu beruhigen. Yassir begrüßte mich wie einen guten Bekannten und sagte, dass Doktor Naseers Freunde auch seine Freunde seien. Dann legte er den Gang ein und brauste durch den ruhigen Schabbatverkehr in Richtung Checkpoint, eine Rußwolke hinter sich herziehend. »Hitler gut Mann«, sagte plötzlich der zahnlose Alte, als er meinen deutschen Pass bemerkte.
Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte, und sagte erst mal gar nichts.
»Hitler gut Mann«, wiederholte der Alte und klopfte mir freundlich auf die Schulter. »Almanya good people.« Über sein wettergegerbtes Gesicht, in das sich tiefe Furchen gegraben hatten, zog ein breites Lächeln. »Hitler nix gut«, antwortete ich.
Der Alte deutete auf einen israelischen Soldaten, der mit angeschlagenem Gewehr den Wagen vor uns kontrollierte und die Insassen zum Aussteigen zwang. »Hitler machen tot!« Er führte seine Hand an die Kehle. »Alle Juden tot!« Yassir herrschte den Alten mit blitzenden Augen an, sodass der beleidigt seine Kefiyah zurechtrückte und verstummte. Nachdem der israelische Soldat sich mit meiner Auskunft zufrieden gegeben hatte, ich wolle als Tourist Bethlehem besichtigen, kontrollierte er die Pässe der Übrigen und ließ uns weiterfahren. Yassir brachte zunächst die anderen Fahrgäste ans gewünschte Ziel. Als der Alte ausstieg und mir unentwegt die Hände schüttelnd in Arabisch auf mich einredete und ständig das Wort Hitler verwendete, drückte Yassir auf die Hupe und mahnte zur Eile. Er fuhr mich direkt zur Praxis von Doktor Naseer, die in einem Nachbardorf von Bethlehem gelegen war. Die klare Winterluft erlaubte eine Sicht über den Jordangraben hinweg auf die jordanischen Berge. Yassir
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