Karlebachs Vermaechtnis
mit Ihnen ein wenig Deutsch spricht.«
18
Für den Empfang bei Doktor Naseer lieh ich mir bei Ahmed ein weißes Hemd und eine Krawatte. Das Hemd war mir zwar etwas zu klein, aber wenn ich mein Jackett überzog, würde es schon niemand bemerken. Ich schlenderte zum Taxistand am Damaskustor und wartete auf Yassir, der noch mit Touristen unterwegs war. Mit Schlomo Karlebach hatte ich immer noch keinen Kontakt aufnehmen können. Wie üblich hatte ich am Freitagmorgen sein Stammcafe aufgesucht. Leider war es so kühl, dass der Garten geschlossen blieb und ich im Innern Platz nehmen musste. Karlebach las in seiner Ecke die Zeitung. Ich schickte Lea zu ihm, ob ich ihn an meinen Tisch einladen dürfe, doch er lehnte ab. Lea versuchte noch den Grund für seine Absage herauszufinden, aber er zeigte sich sehr einsilbig.
Ich nutzte die Zeit, um aus zwei Reiseführern für die Lokalpost eine Reportage über das Rote Meer zusammenzuschreiben und in meinen Laptop zu tippen. Zum Glück hatte mir Lea erzählt, dass sie zum Tauchen häufig auf den Sinai fahre, und mit ihren Berichten und meinen wenigen eigenen Eindrücken gelang mir eine runde Geschichte, wie ich fand. Man könnte fast meinen, ich hätte alles selbst erlebt, lobte mich Lea, nachdem sie die Reportage gelesen hatte. Doktor Naseers Haus lag auf einer kleinen Anhöhe, von der man auf das Dorf hinabblicken konnte. Die mit einem grünen Flaum überzogene judäische Wüste, die am Ortsrand begann, wurde von der untergehenden Sonne in goldbraunes Licht getaucht. Am Horizont zeichneten sich die Gipfel der jordanischen Berge klar vom blassblauen Himmel ab. Auf einer Wiese neben dem Grundstück graste eine Ziegenherde, die von einem kleinen Jungen gehütet wurde. Und von irgendwoher roch es verführerisch nach gegrillten Fleischspießchen.
Yassir und ich wurden am Gartentor von drei Mädchen in weißen Kleidern empfangen. »Doktor Naseers ganzer Stolz«, raunte mir Yassir zu, während er eine nach der anderen durch die Luft wirbelte. Von dem Gelächter angelockt kam uns Doktor Naseer entgegen und geleitete uns ins Haus. Wir hatten uns etwas verspätet, denn Yassir hatte mit einer amerikanischen Touristengruppe einen Tagesausflug nach Jericho und ans Tote Meer unternommen. Der Taxifahrer stürmte auf eine Gruppe junger Männer zu und umarmte sie. Doktor Naseer stellte mich zunächst seiner Gattin vor, dann den einzelnen Gästen, die im Wohnzimmer oder auf der Terrasse miteinander plauderten. Zuletzt führte er mich zu einem Lehnstuhl, in dem eine uralte Frau saß. »Meine Großmutter«, sagte Doktor Naseer stolz, »mindestens so alt wie das Jahrhundert! Wenn Sie etwas über die Geschichte unseres Volkes wissen wollen, müssen Sie diese Frau fragen.«
Die alte Dame erhob sich aus ihrem Stuhl und reichte mir die Hand. Dann griff sie um meinen Hais, zog meinen Kopf zu ihrem Mund herab und flüsterte mir etwas ins Ohr. Ich zuckte mit den Achseln, weil ich nichts verstanden hatte. »Sie hat Ihnen Segen und Frieden und viele Kinder gewünscht«, dolmetschte Doktor Naseer. Jäh kam mir Fatma Franghi in den Sinn. Ich hatte sie noch nicht gesehen. War sie etwa doch nicht eingeladen? Die Großmutter nahm meinen Kopf zwischen ihre runzeligen Hände, presste meine Wangen zusammen und schaute mir in die Augen. Dann gab sie mir einen leichten Streich auf meine linke Wange und ein breites Lächeln überzog ihr faltiges Gesicht. In ihrem Mund blitzte eine Reihe Goldzähne. Sie drehte sich zu ihrem Enkel, fasste seine Hände und murmelte ihm etwas zu. Jetzt lachten beide. »Herzlichen Glückwunsch«, sagte Doktor Naseer zu mir. Ich sah die beiden ratlos an. Die Großmutter kicherte und klopfte mit ihrem Stock gegen meine Hüfte. »Meine Großmutter prophezeit Ihnen, dass sie bald Vater werden. Sie werden einen Sohn bekommen.« Ich lachte ungläubig, »Zum Vaterwerden braucht man eine Frau, wenn ich im Biologieunterricht recht aufgepasst habe.«
»Lachen Sie nicht«, mahnte Doktor Naseer, »Großmutter hat schon vieles vorausgesehen. Zum Beispiel hat sie mir vor meiner Hochzeit prophezeit, dass ich erst Vater von drei Mädchen werde und dann noch einen Sohn bekomme. Und? Sie haben die Mädchen gesehen.«
»Und der Sohn?«
»Der lässt noch auf sich warten. Aber ich bin ja erst einundvierzig.«
Die Großmutter tätschelte noch einmal mein Gesicht, nickte nachdrücklich, als ob sie meine Einwände zerstreuen wollte, und ließ sich dann in ihren Stuhl zurückfallen. »Sie müssen
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