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Karlebachs Vermaechtnis

Karlebachs Vermaechtnis

Titel: Karlebachs Vermaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe von Seltmann
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Großvater Karlebach seelenverwandt gefühlt. Jetzt wollte er uns zurückgeben, was er von Großvater bekommen hatte. Und er war ein überzeugter Christ. Die Juden sind das Volk Gottes, sagte er. Ohne sie gäbe es keine Christen. Was ihm nicht nur Á ger mit seinem Pfarrer einbrachte. Pietsch drangsalierte Bernhard, wo er nur konnte. Er machte ihm das Leben zur Hölle, aber Bernhard ließ sich nicht beirren. Er wusste, er stand unter Fricks besonderem Schutz, weil er unentbehrlich für die Kriegsproduktion unentbehrlich.
    Als ich wie alle jüdischen Kinder die Schule in der achten Klasse verlassen musste, setzte Bernhard bei Frick durch, dass ich unter seiner Anleitung eine Lehre als Modellschreiner beginnen durfte. Ich war handwerklich nicht ungeschickt. Er kümmerte sich rührend um mich und wenn andere Arbeiter mich verspotteten, wies er sie zurecht. Doch als uns Juden der Lohn gekürzt wurde, konnte auch er nicht eingreifen. Frick hatte mehr und mehr das Interesse an seinen jüdischen Angestellten verloren. Aus seiner Sicht verständlich: Er musste sich wegen uns ständig mit Pietsch und dem neuen Gauleiter streiten. Arier sollten und wollten unsere Plätze einnehmen. Mein Vater wurde als Erster degradiert, dann Rosenthal. Die Jüngeren waren nie über eine Stelle als Hilfsarbeiter hinausgekommen. Und ab 1940/41 gab es so viele Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, dass uns Frick nicht mehr brauchte. Er ließ uns fallen.«
    »Lass uns woanders hingehen«, unterbrach mich Lea. »Ich halte es nicht mehr aus mit dieser Horde deutscher Christen um mich herum.« Wir begaben uns schweigend in die gegenüberliegende Zitadelle und lagerten uns auf dem Rasen hinter einer Absperrung.
    »Auf den Tag drei Jahre nachdem der Nazipöbel unser Heiligstes, die Thorarolle, verbrannt hatte«, schrieb Schlomo Karlebach, »gab Pietsch die Familien Grünstein, Karlebach und Rosenthal zur Vernichtung frei. Der 9. November 1941 war ein Sonntag. Um halb elf, ich weiß es noch genau, weil die Kirchenglocken läuteten, überreichte uns Pietsch persönlich den Deportationsbefehl. Für jeden Einzelnen von uns ein eigenes Schreiben. Für alle dreißig Bewohner des Judenhauses. Einer, Großvater Herschel Karlebach, war der Deportation durch seinen Tod entronnen. Die Bewohner des Judenhauses waren: Leo Grünstein
    Hanna Grünstein, geborene Karlebach
    Josef Grünstein
    Lea Grünstein, geborene Leibkowitz
    Hermann Grünstein
    Elisabeth Grünstein, geborene Rosenthal
    Heinrich Grünstein
    Paul Grünstein
    Rudolf Grünstein
    Inge Grünstein
    Paula Grünstein
    Philipp Rosenthal
    Emmi Rosenthal, geborene Eisenberg
    Heinrich Rosenthal
    Marta Rosenthal, geborene Wiesel
    Lothar Rosenthal
    Rudi Rosenthal
    Werner Rosenthal
    Charlotte Karlebach, geborene Franck
    Salomon Karlebach
    Gertrude Karlebach, geborene Eichener
    Mosche Karlebach
    Sonja Karlebach, geborene Rosenthal
    Absalom Karlebach
    David Karlebach
    Schlomo Karlebach
    Marta Karlebach
    Klara Karlebach
    Hanna Karlebach
    Katharina Karlebach
    »Er hat alle dreißig namentlich aufgelistet«, sagte Lea. »Ich habe mitgezählt. »Dreißig von sechs Millionen Ermordeten.«
    »Neunundzwanzig«, sagte ich, »Schlomo Karlebach hat überlebt.«
    Ich fuhr fort:
    »Drei Tage gab uns Pietsch Zeit. Drei Tage zum Packen, zum Abschiednehmen. Drei Tage, an denen wir das Haus nicht mehr verlassen durften. Wohin es gehen sollte, sagte uns Pietsch nicht. Nur so viel, dass wir am Mittwoch in ein Sammellager gebracht würden. Nach seiner Anordnung durften wir für drei Tage Proviant mitnehmen und pro Person fünfzig Kilogramm Gepäck. Verteilt auf je einen Koffer, einen Rucksack oder eine Reisetasche und eine Deckenrolle.
    Als Pietsch genüsslich grinsend jedem Einzelnen von uns den Deportationsbescheid aushändigte, verlor mein Vater die Nerven. Er schritt auf Pietsch zu und schlug ihm ins Gesicht. Wir wagten nicht, uns zu bewegen. Keiner von uns rührte sich von der Stelle. Einige Frauen hielten sich die Augen zu. Großmutter Karlebach schrie leise auf. Wie würde Pietsch auf diese Provokation reagieren? Würde er meinen Vater erschießen?«
    Ich wischte mir mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Lea legte ihren Kopf auf meinen Bauch und schimpfte in allen Sprachen, die sie beherrschte. »Pietsch spuckte aus und gab seinen beiden Begleitern ein Zeichen. Die SS-Männer hielten meinen Vater fest, während Pietsch langsam auf meine Mutter zuging. Sie war eine sehr schöne Frau, die auch in der schweren Zeit ihre

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