Karlebachs Vermaechtnis
also nicht in meinem Kaffeehaus. Ich würde mich aber freuen, mit Ihnen gemeinsam am Abend das Schabbatmahl einzunehmen. Grüßen Sie bitte Lea von mir (ich nehme an, Sie haben den Brief gemeinsam gelesen). Ihr Schlomo Karlebach. PS: Es tut mir Leid, dass ich Ihnen die Schilderung dieser Ereignisse zugemutet habe. Aber ich konnte es nicht vermeiden. Die Ereignisse vom 9. November 1941 haben mein weiteres Leben bestimmt. Sie haben meine Jugend, meine Unschuld zerstört. Sie haben aus mir einen apokalyptischen Racheengel gemacht.«
»Wann sind diese Wahlen, von denen du mir erzählt hast?«
»Schon in drei Wochen«, seufzte ich. »Die Zeit wird verdammt knapp.«
Lea sah mich über den Rändern ihrer Sonnenbrille fragend an.
»Karlebach hat mir immer noch nicht mitgeteilt, ob er den jungen Pietsch kennt, den Sohn des Nazi-Pietsch. Ich bin sicher, er ist ihm schon begegnet.«
»Ist dieser junge Pietsch genauso ein Schwein wie sein Vater?«
»Wer wird nicht zum Schwein, wenn er grenzenlose Macht über hilflose Geschöpfe hat?«
Lea presste ihre Lippen aufeinander. »Falls ich diesem Pietsch im Jenseits einmal begegne, werde ich zur Furie!«
»Pietsch ist seinem Vater sehr ähnlich. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Mein Kollege Helmut hat herausgefunden, dass Pietsch, der biedere und brave Saubermann, sich mit einer rechtsradikalen Schlägertruppe umgibt. Offiziell hat er das natürlich heftig dementiert: Böse Verleumdungen!, infame Lügen!, billige Wahlkampfpropaganda! Vermutlich geht auf ihr Konto auch die Zerstörung meines Autos. Aber die Polizei hat keine Beweise. Die Schläger sind bei zwei alten Herren aufgetaucht, die mir vom Judenhaus erzählt hatten, und haben sie so eingeschüchtert, dass sie nicht mehr mit mir reden wollten.
Einer aus dieser Gruppe ist nach Helmuts anonymem Hinweis vorläufig festgenommen worden, weil er einige nicht-registrierte Waffen besaß und in seinem Zimmer Hakenkreuzfahnen, Fotos von Hitler und nationalsozialistisches Propagandamaterial gestapelt hatte. Das war der Schwachkopf, der meinen Hund erschießen wollte. Den würde ich allerdings nicht als Überzeugungstäter, sondern eher als Mitläufer einschätzen. Er war froh darüber, dass sich überhaupt jemand mit ihm befasst hat. Wenn sich eine christliche Jugendgruppe seiner erbarmt hätte, wäre er sicher ein überzeugter Jünger Jesu geworden.
Viel gefährlicher ist ein ehemaliger Klassenkamerad von mir namens Amacker. Er ist ein schleimiger Widerling, aber er steigt die Karriereleiter höher und höher. Helmut meint, dass er im Hintergrund die Fäden zieht und so eine Art intellektueller Kopf der Gruppe ist. Das würde auch meine Theorie erhärten, dass er davon wusste, dass ich mit seiner damaligen Ex-Freundin, mit der er sich jetzt wieder in der Öffentlichkeit zeigt, diese Silvesterparty besuchte.«
»Das verstehe ich nicht«, sagte Lea. »Was hat Herr Karlebach mit diesen Leuten zu tun?«
Ich faltete eine Serviette auseinander und malte ein paar Kringel.
»Das ist Karlebach, das ist Opa Bernhard, und das ist der junge Pietsch.« Lea nickte.
»Karlebach und Opa Bernhard schreiben sich über die Jahre hinweg, nicht häufig, aber doch regelmäßig. Brief Nummer 22 von Karlebach, Opa Bernhard hat sie nummeriert, stammt vom November 1973. Er bedankt sich für eine information und kündigt seinen baldigen Besuch an. Insgesamt finden wir von Karlebach fünfundzwanzig Briefe, der Letzte aus dem vergangenen Herbst, also kurz vor Opa Bernhards Tod. Warum haben sich die beiden über zwanzig Jahre nicht geschrieben?« Ich malte einen Pfeil zwischen dem Karlebach- und dem Opa-Bernhard-Kringel. »Im Frühjahr 1974 wurde das Judenhaus abgerissen. Nach heftigen Diskussionen. Der junge Pietsch war damals Bürgermeister. Und jetzt kommt’s:«
Lea nahm ihre Sonnenbrille ab und kaute skeptisch am Bügel.
»Mein Freund und Kollege Helmut hat herausgefunden, dass es beim Verkauf des Grundstücks zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist. Der Eintrag im Grundbuch ist eine offensichtliehe Fälschung, das hat ihm ein befreundeter Experte von der Polizei bestätigt. Noch ist nicht geklärt, wann und von wem der Eintrag gefälscht wurde. Und wer wurde durch die Fälschung geschädigt?« Ich sah Lea triumphierend an. »Schlomo Karlebach!«
»Das verstehe ich nicht.«
»So ganz verstehe ich es auch noch nicht«, räumte ich ein. »Aber laut Helmut ist Karlebach der rechtmäßige Eigentümer des Grundstücks.«
»Vielleicht hatten die
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