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Karlebachs Vermaechtnis

Karlebachs Vermaechtnis

Titel: Karlebachs Vermaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe von Seltmann
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jetzt mit dir mache, du Judenfotze, wirst du nie vergessen, das verspreche ich dir. Hörst du? Du wirst es genießen. Ich werde dir etwas bieten, was dein dreckiger Judenlümmel nie geschafft hat. Du Judenfotze wirst dich für den Rest deines erbärmlichen Lebens an mich erinnern. Pietsch zwang meine Mutter in die Knie und holte seinen Penis heraus. Er hing schlaff herunter.
    Schließt eure Augen, hörte ich Großmutter Karlebach flüstern. Dann drehte sich Pietsch urplötzlich um und zog die Hose über seine kraftlose Männlichkeit. Das hättet ihr wohl gerne, ihr mit eurer schweinischen Judenphantasie! schrie er. Dass sich ein Arier an einer Judenhure schmutzig macht! Dann schlug er meine Mutter ins Gesicht. Ihre Nase blutete. Er drosch auf sie ein, bis sie neben ihrem Mann, meinem Vater, niedersank. Mutter gab keinen Laut von sich. Du verdammte Judenhure!, brüllte Pietsch. Einen anständigen Arier zu verführen! Darauf steht die Todesstrafe! Er zerrte sie wieder hoch, stellte sie an die Wand und hielt ihr die Pistole an die Schläfe. Er drückte ab. Es klackte. Pietsch drückte noch einmal ab. Die Waffe versagte wieder. Dann marschierte er davon, seine Begleiter folgten ihm, ohne sich noch einmal umzudrehen.«
    »Ich hätte diesen Pietsch umgebracht«, fauchte Lea, »ohne mit der Wimper zu zucken hätte ich ihn getötet. Aber vorher hätte ich ihn gefoltert und ihm das Leben zur Hölle gemacht.«
    »Karlebach hat es getan«, murmelte ich. »Zwei Stunden später«, las ich mit heiserer Stimme, »hörte ich den Motorenlärm von einem schweren Lastwagen. Ich hörte das Getrampel von Stiefeln und hörte, wie Befehle gebrüllt wurden. Ich hatte mich im Kaninchenstall am Rand des Grundstücks versteckt, weil ich allein sein wollte. Ich war vor den anderen geflüchtet. Ich wollte ihre Blicke, ihre mitleidigen und zugleich vorwurfsvoflen Blicke nicht mehr aushalten müssen. Durch einen Spalt in der Bretterwand konnte ich beobachten, was vor sich ging. SS-Männer, überall SS-Männer. Pietsch hatte sich auf seine Weise gerächt und die Frist zum Abtransport gekürzt. Die Grünsteins, Karlebachs und Rosenthals bekamen noch eine Viertelstunde, um ihr Nötigstes zusammenzupacken. Dann wurden sie wie das Vieh auf den Lastwagen getrieben. Meine Schwester Marta zuerst. Meine Mutter und mein Vater wurden von den anderen gestützt. Nicht wie die Lämmer zur Schlachtbank wurden sie getrieben, wie man uns Juden oft vorwirft, nein, wir waren Opfer eines mörderischen und perversen Plans. Eines mit deutscher Gründlichkeit ausgeführten perfekten Plans.
    Die Frauen und Kinder weinten, Onkel Salomon war außer sich vor Wut. Der alte Philipp Rosenthal sang ein Gebet. Die eilig herbeigelaufenen Dörfler schauten zu und klatschten hämisch Beifall. Dann - der Lastwagen war beladen, Pietsch bedankte sich schon bei seinen Schergen und ließ sich feiern - würgte der Fahrer den Motor ab. Der beladene Lastwagen ruckelte und stockte. Eine eigentümliche Stille breitete sich aus. Und Leo Grünstein stand auf und stellte sich an die hintere Kante der Ladefläche. Er sprach mit lauter und klarer Stimme einen Vers aus unserem 18-Bitten-Gebet. Jeder konnte hören, wie er ausrief: Die Ruchlosen mögen untergehen und ausgerottet werden, entwurzele und zerschmettere die Frevler! Gelobt seist du, Ewiger, der du die Feinde zerbrichst und die Frevler demütigst!
    Das Johlen der Menge erstarb endgültig. Pietsch fluchte und tobte, der Fahrer solle endlich starten. Das Freudenfest war ihm verdorben. Leo Grünsteins Gebet war das Letzte, was ich von unserer Familie hörte. Gesehen habe ich sie nie wieder. Nur in meinen Träumen leben sie weiter. Meine Mutter, mein Vater, meine Schwestern, die Karlebachs, die Grünsteins und die Rosenthals. In meinen Träumen sind sie unsterblich. In meinen Träumen werden sie unsterblich bleiben, bis ich wieder mit ihnen vereint bin.«
     
    28
     
    »Was machen wir jetzt?«, fragte Lea nach langem Schweigen. Sie blinzelte in die Sonne, die hinter den Zinnen der Zitadelle verschwand. »Ich weiß es nicht«, sagte ich. »Fährst du noch nach Bethlehem?«
    »Nein.«
    »Dann lass uns einen Kaffee trinken. Aber dort, wo ich keine Deutschen ertragen muss.«
    Wir fanden ein kleines, verstecktes Cafe im armenischen Viertel.
    »Wann will Karlebach zurückkehren?« Ich holte den Brief aus meiner Jackentasche und las noch einmal die letzten Sätze: »Ich komme am späten Donnerstagabend aus New York zurück. Freitagvormittag bin ich

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