Karlo geht von Bord - Kriminalroman
ihm die unbequeme Wohnsituation in der Gartenhütte des Motorradclubs zu ersparen.
Er ärgerte sich maßlos über seinen Eifersuchtsausbruch. Jeannette wäre bestimmt nicht dreist genug, sich mit einem anderen Kerl in ihrer Wohnung zu treffen, gerade wo Karlo doch einen Schlüssel hatte. Überdies war ihre Beziehung richtig gut gelaufen in der letzten Zeit. Karlo fühlte sich wohl und auch Jeannette wirkte nicht gerade unzufrieden. Was blieb ihm also? Was sollte er tun?
Zögernd fasste er einen Entschluss: Morgen würde er sich entschuldigen. In aller Form. Danach ein schönes Essen bei Toni ausgeben. Vielleicht könnte er sie auch an einem der nächsten Wochenenden wieder mal zu einer gemeinsamen Tour in die Rhön einladen. Schon lange redete sie davon.
Er nahm einen Schluck aus seiner Bierflasche. Stellte sie wieder ab, um, von innerer Unruhe getrieben, wieder zuzugreifen und erneut ein paar Schlucke zu nehmen. Als die Flasche leer war, fühlte er sich etwas besser. Und bekräftigte seine Überzeugung, dass eigentlich alles in Ordnung sei.
Eigentlich.
Denn irgendetwas stimmte nicht und das war mehr als bloß eine Ahnung.
Samstag, 10. September
Hessen-Center, Bergen-Enkheim
3
Jeannette hatte ihren Wagen vor dem
Blödia-Markt
geparkt, dem Technikladen für obskure Preisstrategie. Sie vermied es, sich in diesem Haus hinters Licht führen zu lassen. „Ich bin doch nicht blöd“, dachte sie, von der unverschämten Werbung beleidigt.
Mit dem Parkplatz hatte sie Glück gehabt, so sparte sie sich die Parkgebühren für das Einkaufszentrum. Sie überquerte bei Rot erst die Straße, dann die Straßenbahngleise. Als der Fahrer des herannahenden Zuges die Warnklingel aufschrillen ließ, schickte sie ihm einen kratzbürstigen Blick in den Führerstand und zeigte dem verblüfften Mann den Mittelfinger.
Sie überquerte die obere Parkebene, betrat das dort befindliche Kaufhaus und stand kurz darauf vor einem Sonderangebotstisch mit heruntergesetzten Markenjeans. Die störende Einkaufstasche hatte sie neben sich abgestellt. Sie wühlte sich durch das Angebot, konnte aber keine passende Jeans entdecken. Dann streifte ihr Blick suchend durch den Verkaufsraum.
„Typisch“, murrte sie sichtlich verstimmt. Als sie einen weiteren Tisch mit Angeboten entdeckte, wechselte sie den Standort und begann erneut, nach passenden Kleidungsstücken zu fahnden.
Mit einem Mal runzelte sie die Stirn. Da war plötzlich dieses unangenehme Gefühl zwischen den Schulterblättern, das langsam, ganz langsam, den Nacken hinaufkroch. Eigenartig. Sie hob den Kopf und blickte mehrmals um sich, wähnte sich beobachtet. Eine leichte Gänsehaut flog über ihren Rücken. Verunsichert schaute sie erneut in die Runde. Doch es war niemand zu sehen, der ihre Ahnung hätte rechtfertigen können. Sie fröstelte abermals und rieb sich schaudernd die Oberarme. Dann konzentrierte sie sich wieder auf die Ware.
Einen Augenblick beschäftigte sie sich unkonzentriert mit den billigen Blusen, die einen unangenehmen Geruch nach Chemie ausdünsteten. Mit gerümpfter Nase ging sie weiter. Als sie auch in der dritten Auslage nichts für sich finden konnte, entschied sie, launisch und enttäuscht, den Laden zu wechseln. Reflexartig griff sie an ihre Schulter, tastete nach dem Tragegurt ihrer Einkaufstasche – und erschrak.
Ihre Tasche war weg.
„Na, so ein Leichtsinn“, murmelte sie erschrocken. Es fiel ihr ein, dass sie die Tasche am ersten Wühltisch abgestellt hatte.
Sie machte auf dem Absatz kehrt und eilte dorthin zurück. Doch ihre Angst erwies sich als unbegründet. Die Tasche stand noch neben dem Tisch mit den Jeans. Misstrauisch öffnete sie den Reißverschluss des Außenfachs und fuhr mit der Hand hinein. Die Geldbörse war auch noch da. Na also, alles war gut, da hatte sie noch einmal Glück gehabt!
Die Tasche wieder über die Schulter gehängt, steuerte sie erleichtert in Richtung Ausgang.
Seltsam, dachte sie mit einem Mal. Was war nur los mit ihr? Sie blieb stehen, wieder spürte sie dieses Kribbeln. Das unangenehme Gefühl, von fremden Blicken verfolgt zu werden, befiel sie erneut. Als sie schließlich ihren Kopf argwöhnisch nach rechts drehte, verdichtete sich das Gefühl zur Gewissheit. Dieses Gesicht kannte sie. Nur zu gut.
Mit einem Unterschied. Sie kannte es nicht in diesem ramponierten Zustand. Über der linken Augenbraue, die grotesk angeschwollen war, klebte ein großes Pflaster. Von der rechten Kinnseite ausgehend bis hin zur Schläfe
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