Karlo geht von Bord - Kriminalroman
erblickte man allerlei Abschürfungen in vielfältiger Färbung und Dimension. Die Schädeldecke konnte Jeannette nicht begutachten, eine Baseballmütze bedeckte gnädig die sicher reichlich vorhandenen Blessuren. Ein blaues Auge zur Rechten der leicht grünlich schimmernden und mit einer knallroten Bisswunde verzierten Nase krönte das Gesamtbild eindrucksvoll.
Das notgeile Arschloch!
Zuerst erschrak sie. Gütiger Himmel, da hatte sie am Vorabend aber ganze Arbeit geleistet, so sah es zumindest aus. Doch dann gefiel es ihr, in Anbetracht der widerwärtigen Attacke des Kerls. Es gefiel ihr sogar sehr, stellte sie überrascht fest und sie bekam ein wenig Angst vor sich selbst.
Was ihr weit weniger gefiel und überhaupt nicht zum ramponierten Zustand des Gesichts passte, war das gemeine Grinsen darin.
Als er sie mit eiligen Schritten überholte, um sich ihr in den Weg zu stellen, begann sie zu begreifen. Ihr wurde schlecht. Es brauchte nicht allzu viel Fantasie um zu ahnen, was nun kam.
Hätte sie nur mit Karlo gefrühstückt.
„Einen Moment, meine Dame“, seine Stimme klang übertrieben förmlich, „darf ich mal bitte einen Blick in Ihre Tasche werfen? Wenn ich mich nicht täusche, ist da etwas drin, das nicht hineingehört.“
Er hielt ihr triumphierend eine kleine Plastikkarte hin, die ihn als Kaufhausdetektiv auswies.
„Nicht nur ein Arschloch“, fuhr es ihr durch den Kopf, „auch noch eine professionelle Petze.“
Das Grinsen wurde noch eine Nuance gemeiner, als er hinzufügte: „Und – glauben Sie mir – ich täusche mich eher selten.“
Das Blut schoss Jeannette unkontrolliert ins Gesicht. Hektische rote Flecken begannen, sich darauf auszubreiten. Ihr wurde sonnenklar: Hier wollte sich jemand an ihr rächen. Sie machte sich erst gar nicht die Mühe nachzusehen, was dieser Dreckskerl in ihrer Tasche deponiert haben mochte. Verzweifelt suchte sie nach einem Ausweg. Sollte sie es wagen, noch einmal handgreiflich zu werden? Das allerdings käme einem Schuldeingeständnis gleich. Und es gab weit und breit kein Skateboard. Oder eine vergleichbare Waffe. Zudem wurde sie bei einem sichernden Blick in die Runde mehrerer potenzieller Zeugen gewahr, die eine Ladendiebin, zumal eine renitente, mit Freude identifizieren würden. Also entspannte sie sich, soweit es in der verfahrenen Situation möglich war. Alle Erklärungsversuche waren sowieso vergeblich, da der Detektiv das Theaterstück schon geschrieben hatte und nun auch noch Regisseur und Laienschauspieler in einem war.
Er griff routiniert in die Einkaufstasche. Seine Ansage schien vorprogrammiert, sie klang wie schon hundertfach vorher geprobt. Jeannette hätte synchron mitsprechen können: „Na, was haben wir denn hier?“
Ein ziemlich teuer aussehender Parfümflakon lag plötzlich in seiner Hand. Er streckte das Fläschchen wie einen gerade gewonnenen Pokal in die Luft und schwenkte es hin und her. Das Grinsen war verschwunden und einer verächtlichen Grimasse gewichen. Jeannette presste die Lippen zusammen.
Was für ein Schmierentheater.
„Wenn Sie mir bitte folgen würden“, kam es gezwungen höflich aus dem geschundenen Gesicht, „wir wollen doch kein Aufsehen.“ Der Detektiv musterte Jeannette lauernd. „Oder wollen wir das?“
Er ergriff Jeannettes Oberarm, um sie in sein Büro zu geleiten. Sie machte sich mit einer unwilligen Bewegung frei und fixierte den Detektiv angewidert.
„Schon gut, Dreckskerl. Fürs Erste hast du gewonnen. Aber glaub bloß nicht, dass du damit durchkommst. Wenn ich meinem Freund erzähle, was du für ein Schwein bist, kannst du zuschließen. Der macht dich alle, das verspreche ich dir.“
„Man soll nichts versprechen, was man nicht halten kann, meine Dame“, kam es unverändert höflich zurück. „Und jetzt kommen Sie bitte. Oder muss ich meine Kollegen zur Unterstützung herbeirufen?“
Das geschäftsmäßige Gehabe des Detetktivs fand in seinem Büro ein jähes Ende. Das gemeine Grinsen kehrte allmählich zurück und machte seine ramponierte Visage keineswegs erträglicher.
Jeannette hätte darauf gewettet, was jetzt kam.
Sie behielt recht, bingo! „Na also, geht doch. Jetzt sind wir zwei Hübschen ganz einsam in meinem kuscheligen Büro. Was fangen wir nun Schönes miteinander an, wir beiden?“
Er wartete nicht auf eine Antwort und legte sogleich nach. Hinterlistig blinzelte er sie an. Seine Stimme verbreitete reinste Häme.
„Du willst doch sicher nicht, dass ich die Polizei rufe. Bist
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