Karlo geht von Bord - Kriminalroman
schuldbewusst in zwei zu bösartigen Schlitzen verengte Augenpaare.
„He, was soll das, du Wichser?“, kam die ebenso unvermeidliche wie bedrohlich klingende Frage des einen Glatzkopfs. Die Reaktion des zweiten folgte auf dem Fuße und klang nicht minder beängstigend. „Mann, wie kaputt ist das denn? Der Kerl fotografiert uns hier beim Pissen. Na warte, du schwule Sau!“
Karlo leistete sich genau eine Sekunde des Überlegens. Er registrierte, wie zwei Reißverschlüsse fast synchron zugezogen wurden und kam blitzgescheit zu der Erkenntnis, dass die Jungs sich nicht erst mit Händewaschen aufhalten würden. Erklärungen à la:
„Langsam, Jungs, es ist nicht so, wie es aussieht“
ersparte er sich folglich und warf sich herum. Er riss die Klotür auf und hetzte durch das Lokal. Als er sich am Ausgang nach links wendete, erreichte ihn die entrüstete Stimme des Kellners. „Hallo, mein Herr! Ihr Kaffee, he, hiergeblieben, bezahlt haben Sie auch nicht. So bleiben Sie doch stehen.“
Der Versuch, Karlo zu folgen, ging schief. Von rechts nahte das Ungemach. Die Kollision mit Karlos schwergewichtigen Verfolgern kostete den engagierten Kellner die Unversehrtheit zweier Rippen. Die beiden unfreiwilligen Fotomodelle kamen allerdings durch den Zusammenprall ebenfalls ins Straucheln und fanden sich auf dem Boden des Cafés wieder. Karlos Vorsprung wuchs.
Und Karlo rannte. Er rannte zwar nicht gerade um sein Leben, denn er hatte schon einige Prügeleien überstanden. Immerhin aber rannte er um seinen guten Ruf als ehrbarer heterosexueller Macho, der seine Kaffeerechnungen normalerweise zu begleichen pflegte.
–
Das Foto kam doch noch zustande. Und das ganz unspektakulär. Karlo floh über die Rolltreppe ins Untergeschoss. Als er am Ende der Rolltreppe den Kopf drehte, erblickte er den Detektiv, der sich gerade von der Bäckereitheke abwendete und seine Zähne in ein zweifelhaftes Backerzeugnis grub, das hiesigen Verbrauchern gemeinhin als Laugenbrezel untergeschoben wurde.
Karlo sicherte routiniert nach oben. Nichts von den Verfolgern zu sehen. Also: Blitz ausschalten, ISO-Wert erhöhen, Kamera hoch, kurz gezoomt und abgedrückt. Er prüfte die Qualität der Abbildung im Display: super. Wurm war im Kasten. Ohne Aufsehen, ohne Aufregung. Na also. Geht doch.
Zufrieden grinste er. Plötzlich erkannte er einige Schritte neben Wurm den Anzugträger, der eilig dem unteren Eingang des Kaufhauses zustrebte. Karlo steckte die Kamera wieder weg und beschloss kurzerhand, den Mann im Auge zu behalten. Er betrat den Verkaufsraum und folgte Wurms Gesprächspartner quer durch das gesamte Untergeschoss. An einer Kasse blieb der Graumelierte stehen und wechselte mit einer Kassiererin einige Worte. Das sah eher nach einem Flirt aus als nach dienstlichen Begebenheiten, vermutete Karlo amüsiert. Schließlich beobachtete er, wie der Mann im Anzug eine Metalltür aufschloss und dahinter verschwand. Zuerst stand Karlo unschlüssig da und überlegte. Dann ging er zur Kasse und sprach die Kassiererin an.
„Sie haben doch eben mit dem Mann im blauen Anzug geredet. Dieser grauhaarige Herr. Ist das ein Mitarbeiter des Hauses?“
Die Kassiererin schaute überrascht.
„Sie meinen den Herrn Heidmann? Ja, er ist einer unserer Abteilungsleiter. Was wollen Sie denn von ihm?“
Und plötzlich war das Misstrauen wieder da, das Karlo heute scheinbar von überall entgegenschwappte.
„Ach, nichts, vielen Dank“, wiegelte er ab. „Ich glaube, ich habe ihn mit jemandem verwechselt. Wie sagten Sie, heißt er? Heidmann? Nein, nein, da habe ich mich geirrt. Entschuldigen Sie bitte.“
Freitagabend, 16. September
6
Beate Wurm hatte sich bei ihrem Mann untergehakt. Sie hatte ihr neues grünes Seidenkostüm angezogen, war bester Laune und freute sich sehr auf den Abend. Endlich hatte Alfons wieder ein Engagement. Große Reichtümer warf so ein Krimi-Abend nicht gerade ab. Aber man wusste ja nie, wer sich unter den Gästen befand, und sie selbst fand Alfons gar nicht so schlecht als Schauspieler, soweit sie das beurteilen konnte. Mehr schlecht als recht waren jedoch seine Versuche geraten, die zahleichen Schrammen zu überschminken, die das Rollbrett verursacht hatte. Wurm hatte seiner Frau erzählt, er sei von einem ertappten Ladendieb tätlich angegriffen worden. Sie war entsetzt gewesen und hatte eigentlich keinen Grund gehabt, das anzuzweifeln.
Eigentlich.
Denn immerhin war ihr Mann schon zweimal recht handfest von betrogenen Ehemännern
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