Karma-Attacke (German Edition)
Schulterblättern herab.
Brigitte Zablonski kannte das Gefühl, in etwas hineingezogen zu werden. Zu oft hatte sie sich in die Problematiken ihrer Klienten verstricken lassen. Als Rückführungstherapeutin hatte sie mit der Zeit erst lernen müssen, warum die, die bei ihr Hilfe suchten, selten bekamen, was sie sich am meisten wünschten. Sie durfte nicht der Versuchung erliegen, es ihnen zu geben. Am Anfang hatte sie jeden retten wollen, inzwischen wusste sie, dass ihre Möglichkeiten begrenzt waren. Sie musste sich selbst schützen, um sich nicht aufzulösen in den Problemen anderer. Manche Klienten begleitete sie durch die Hölle. Aber sie konnte nicht stellvertretend für sie hindurchgehen.
Sie reckte die Arme hoch. Vor ihrem inneren Auge erschien ein Wasserfall, unter dem sie nackt stand und sich erfrischte. Die Badekappe rutschte von den Haaren. Sie drehte sofort das Wasser ab, aber es war zu spät.
In ein großes Badetuch gehüllt, begann sie die Haare trockenzuföhnen, verlor aber schnell die Lust daran. Sie entschied sich, die Haare hochzubinden und unter einem ihrer zahllosen Seidentücher zu verbergen, dem indischen, das sie in Poona gekauft hatte, damals als sie noch geglaubt hatte, Bhagwan wisse den Weg. Das Tuch gefiel ihr immer noch. Die feinen Goldfäden darin gaben ihr ein majestätisches Gefühl.
Dann stand sie vor ihrem sechstürigen Kleiderschrank. Sie mochte es, ihn ganz zu öffnen und sich die Verwandlungsmöglichkeiten anzuschauen. Ihr war jetzt nicht nach leichten, fließenden Stoffen. Schwarz oder Nachtblau sollte es sein. Kein Kleid, sondern eine Hose. Sie wollte im Schritt geschützt sein. Schließlich wählte sie zwischen zwei Hosenanzügen. Sie prüfte die Stoffe mit der Hand und entschied sich dann für den robusteren. Dann überprüfte sie ihr Handtäschchen, vergewisserte sich, ob das CS-Gas auch griffbereit war.
Schließlich schob sie eine kunstvolle afrikanische Haarnadel aus Horn durch den Knoten des indischen Tuches. Geformt wie ein Frauenkörper, war sie eigentlich ein Fruchtbarkeitssymbol, doch sie ließ sich prächtig als Nahkampfwaffe verwenden. Mit diesem Haarschmuck kam man durch jede Flughafenkontrolle, doch mit einem gezielten Stich konnte er eine tödliche Waffe sein. Sie stellte sich vor, wie sie die Nadel in Schneiders Hals trieb, und wunderte sich, weil ihr das Ganze so natürlich vorkam. Dabei hatte sie noch nie einem Menschen etwas zuleide getan. Zumindest nicht in diesem Leben.
Sie war schon eine halbe Stunde vor dem Treffen beim Portugiesen und wählte den abgedunkelten Platz beim Zigarettenautomaten. Die Ecke war durch eine Holzvertäfelung und eine große Vase mit künstlichen, großblättrigen Blumen vom übrigen Raum abgeteilt. Durch zwei geschickt angeordnete große Spiegel konnte der Wirt von der Theke aus den Tisch beobachten, damit er sah, wann die Gläser wieder gefüllt werden mussten.
Brigitte Zablonski mochte den Wirt. Er war ein fröhlicher, unkomplizierter Mensch. Manchmal brauchte sie das. Nach schwierigen Rückführungen einfach an der Theke sitzen, ein Kölsch trinken und ein bisschen Smalltalk machen. Nichts Spirituelles, keine Esoterik, keine aufgewühlten Seelen. Einfach nur ein bisschen quatschen. Dafür war er ein wunderbares Gegenüber. Er verstand es, Witze zu erzählen, über die sogar sie lachen konnte, und sie war wahrlich keine besonders humorvolle Frau. Sie hatte zu viel menschliches Leid gesehen, um noch unbeschwert lachen zu können.
Ein wenig beneidete sie den Wirt um genau diese Fähigkeit. Sie mit ihrem Psychologiestudium, ihren Diplomen, ihren Zusatzausbildungen in Gestalttherapie, Psychodrama und Reinkarnation bewunderte diesen Mann und versuchte von ihm zu lernen. Obendrein war er stattlich genug, um einen störenden Gast an die Luft zu setzen, und bei dem geringsten Zeichen von ihr würde er Schneider zurechtstutzen und rausschmeißen. In seiner Nähe empfand sie so etwas wie Sicherheit. Eigentlich bedurfte es dazu keiner Worte, doch sie erklärte sich ihm.
Er wischte sich die bierfeuchten Hände an der Schürze vor seinem Kugelbauch ab und hörte aufmerksam zu. Sie erzählte ihm, dass sie einen Klienten erwarte, den sie nicht in ihrer Wohnung empfangen wolle. Dieser Klient sei einmal handgreiflich geworden, sie wolle ihm aber noch eine Chance geben.
Der Wirt verzog sein Gesicht zu einem breiten, stolzen Lächeln, und er versicherte, dass sie sich keine Sorgen machen müsse. Dazu klatschte er die Hände gegeneinander,
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