Karma-Attacke (German Edition)
zusammen. Er schluckte. Am liebsten hätte er das Handy durch die Glasscheibe der Telefonzelle gefeuert. Noch vor einem Jahr wäre er dieser Versuchung erlegen, doch er hatte einiges dazugelernt.
Er brauchte dringend eine Zigarette. Manchmal, wenn er die Ereignisse so tief in sich hineinließ, dass er glaubte, sein Körper könne zerspringen, war der Rauch einer Zigarette in seiner Lunge wie Leim, der ihn zusammenhielt.
Ihr Stimmungsumschwung verblüffte ihn. Vielleicht spürte sie seine Not. Jedenfalls machte sie ihm ein Angebot.
«Also gut», sagte sie plötzlich und klang gar nicht gnädig oder mildtätig. «Wenn Sie unbedingt wollen, können wir uns treffen. Aber nicht bei mir.»
«Wo immer Sie wollen.»
«In Dellbrück gibt es ein portugiesisches Restaurant. An der Gierather Straße. Kennen Sie das?»
«Nein, aber ich werde es finden. Warum da? Warum nicht bei Ihnen? Ich würde lieber zu Ihnen kommen.»
«Dort oder überhaupt nicht. Heute Abend um acht.»
Sie legte auf. Er lauschte noch eine Weile in sein Handy und fragte sich, ob sie wirklich kommen würde. Wählte sie vielleicht jetzt schon die Nummer der Polizei? Würden ihn beim Portugiesen zwei Beamte erwarten und ihn freundlich darauf hinweisen, dass er jeden weiteren Kontakt zu Frau Zablonski zu vermeiden hätte? Oder würde sie einen bezahlten Schläger mitbringen, um ihm alles heimzuzahlen?
Er hatte keine genaue Erinnerung an das, was damals wirklich passiert war. Er musste mindestens eine halbe Flasche Wodka intus gehabt haben. So viel hatte er zu der Zeit für einen Filmriss gebraucht. In der Anzeige war dann von Hausfriedensbruch und Körperverletzung die Rede gewesen. Im Rahmen der Mordermittlungen war das Ganze als geringfügig oder jedenfalls nachrangig eingestuft worden. Schließlich hatte Frau Zablonski die Anzeige sogar zurückgezogen.
Er wollte diese alten Geschichten nicht wieder aufwärmen. Aber er musste die Frau sprechen. Er wäre jede Wette eingegangen, dass er mindestens so viel Angst vor dem Gespräch hatte wie sie.
5
Richard Schneider wollte sich umziehen. Er konnte Brigitte Zablonski unmöglich so begegnen. Seine Sachen kamen ihm schäbig vor, fast schämte er sich dafür
Der Weg zurück ins neue Haus war viel zu weit, aber auf der Hohen Straße gab es mehrere Herrenbekleidungsgeschäfte. Socken, Unterwäsche, Hemd, Anzug und eine passende Krawatte. Er zahlte mit der Kreditkarte. Es war, als würde er seine alte Schlangenhaut abstreifen, um, transformiert zu etwas Neuem, besser gerüstet in das Gespräch zu gehen. Er war sich nicht sicher, ob er verhindern wollte, dass etwas an seiner Kleidung sie an den Mann erinnerte, der er noch vor kurzem gewesen war, oder ob er nur vermeiden wollte, selbst mit ihm in Kontakt zu kommen.
Er stellte sich vor, wie Ulla ihn anstarren würde, wenn er so zurückkam. Während er mit den neuen Kleidungsstücken in die Umkleidekabine ging, um sie gleich anzuziehen, überlegte er, ob es Sinn machte, Ulla anzurufen. Sie erwartete ihn, und er hatte das Gefühl, es könnte sehr spät werden.
Die alten Sachen stopfte er in die Tragetasche, die eigentlich für die neuen vorgesehen war, und ließ sie in der Umkleidekabine stehen. Er wollte Frau Zablonski nicht mit einer Plastiktüte in der Hand gegenübertreten.
Er sah sich in der Spiegelsäule und hätte sich fast nicht erkannt. Das blaue Hemd, die rote Krawatte, der schwarze Blazer mit dem kleinen Kragen - er trat einen Schritt zurück, um sich noch einmal von Kopf bis Fuß zu mustern. Er gefiel sich. Aber diese alten Lederschuhe waren eine Katastrophe.
Er fuhr die Rolltreppe herunter, erstand ein paar schwarze Slipper und genoss das Knatschen bei jedem Schritt. Er hatte keine Erinnerung mehr daran, wie er Frau Zablonski damals gegenübergetreten war. Solche Dinge waren mit dem Tod seiner Frau völlig unwichtig für ihn geworden. Vielleicht hatte er den selbst gestrickten Pullover getragen, den er während der U-Haft täglich angehabt hatte. Jedenfalls musste er ihr verlottert vorgekommen sein. Schlampig. Vielleicht hatte er sogar gestunken. Von dem, der er damals gewesen war, musste er sich jetzt so deutlich wie möglich abgrenzen.
6
Auch Brigitte Zablonski dachte nach dem Telefongespräch als Erstes daran, sich umzuziehen. Anders als Richard Schneider duschte sie zunächst ausgiebig. Die langen blonden Haare passten kaum unter die Duschkappe. Eine Strähne hatte sich hinten herausgeschlängelt und hing nun feucht zwischen ihren
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