Karma-Attacke (German Edition)
unglaublichen Stolz. Es war der erhebende Gedanke, nicht bestechlich zu sein. Am liebsten hätte er es laut hinausgeschrien: «Ich, Tom Götte, bin nicht bestechlich!»
Der Professor sprach jetzt leiser. Eindringlicher. Vivien sperrte sich nicht mehr gegen das, was er Rückführung nannte. Tom presste sein Ohr an die dünne Schranktür und konzentrierte sich auf das, was der Professor sagte. Zugleich führte er seine linke Hand zum Stiefelschaft. Wenn er den Dolch ertastete, würde er sich sicher fühlen. Er schluckte. Die Schleimhäute trockneten aus. Das war die Aufregung.
«In deinem Kopf entsteht ein kleines Licht. Schau dir genau seine Farbe an. Es ist dein Lebenslicht, du hast es immer besessen. Niemand kann es dir jemals wegnehmen. Es ist dein Ich. Es hat dich durch all deine Inkarnationen begleitet. Es ist das Licht deiner Seele. In ihm ist alles Wissen gespeichert. Lass es einfach nur leben, indem du atmest. Ja, genau so. Atme tief aus und lass dabei Kummer, Leid und Sorgen aus dem Jetzt los. Du brauchst nichts in deinem Körper festzuhalten. Das alles gehört in die Außenwelt. Lass es durch deine Arme laufen wie durch Abflussrohre. Du brauchst den ganzen Müll nicht. Er versperrt dir nur den Zugang zu altem Wissen. Ja, gut, Vivien. Weiter so. Atme einfach aus. Du kannst in Ruhe loslassen. Es ist immer genug Luft da, um wieder einzuatmen. Niemand kann dir das nehmen. Die Luft und deine Seele sind ewig. Damit das Licht deiner Seele wachsen kann, musst du nur atmen, nichts weiter. Die Seele hat deinen Körper gewählt. Sie ist mit all ihren Erfahrungen zu dir gekommen. Sie war so gnädig, alle Informationen zu löschen, damit du im neuen Leben nicht zu sehr belastet bist. Doch nun ist es wichtig, mehr und mehr einzudringen in das, was geschehen ist.»
Plötzlich meinte Tom, das Herz des Professors schlagen zu hören. Der Rhythmus seines eigenen Herzens passte sich dem des anderen immer mehr an.
«Lass nun dein Lebenslicht deinen ganzen Kopf ausfüllen. Überall, wo es hinkommt, entstehen Wärme, Entspannung und Heilung. Lass das Licht durch deinen Hals und deinen Nacken fluten, hinein in deinen Körper.»
Jegliche Spannung wich aus Toms Körper. Er presste den Kopf nicht mehr gegen die Schranktür, er lehnte ihn an. Nichts lenkte ihn ab. Um ihn her war tiefe Dunkelheit.
Er erschrak nicht einmal, als es geschah. Mit einem Lächeln registrierte er, dass sein Kopf von innen zu leuchten begann. Sein Verstand fand das noch ziemlich lächerlich, doch er spürte, dass das Licht in ihm wuchs. Zähflüssig tropfte es aus der Mundhöhle durch Luft- und Speiseröhre nach unten. Die Verspannungen im Nacken lösten sich, sein Kopf lag jetzt ganz locker.
Einerseits wollte er nicht in diesen Zustand versinken, andererseits war es schön so, beruhigend, natürlich. Er konnte sich dem nicht entziehen. Schweiß bildete sich auf seiner Oberlippe. Er leckte ihn ab und bekam Sehnsucht nach dem Prickeln einer Cola. Aber es hätte ihm auch schon genügt, den offenen Mund unter einen Wasserhahn zu halten.
Obwohl es in dem engen Schrank so warm war, ging ihm der Gedanke durch den Kopf, dass es so sein musste, wenn man erfror. Man wusste genau, was geschah, wehrte sich aber nicht mehr dagegen und schlief friedlich ein.
«Dein Lebenslicht breitet sich in deinen Schultern aus. Deinen Schultern, die so viel getragen haben und sooft verspannt waren. Wo dein Licht hinkommt, entspannt sich jede Faser deiner Muskulatur. Es wird warm. Es entsteht Heilung. Es ist wie ein Nach-Hause-Kommen. Lass das Licht nun in deine Lungen hinein, sodass in all deinen Lungenbläschen strahlende Welten entstehen. Atme ruhig weiter aus. Das Licht bleibt bei dir. Es ist immer genug Sauerstoff für dich da.»
Es war Tom, als könne er tatsächlich seine Lunge von innen sehen, selbst den Teer, der von den vielen Zigaretten zurückgeblieben war. Wo das Licht hinkam, begann alles zu glänzen und zu erstrahlen. Der Teer schien sich zu Diamanten zu verdichten.
«Lass das Licht deiner Seele langsam zu deinem Herzen gehen, ganz langsam. Lass es langsam von außen eindringen. Zunächst den Herzbeutel, dann das eigentliche Herz umstrahlen. Dieses starke Herz steht dir die ganze Zeit zur Verfügung. Sieh nur, wie freudig es dein Lebenslicht begrüßt.»
Schnelle Bildfolgen jagten an Toms innerem Auge vorbei. Ein Bild, das in der Schule an der Wand gehangen hatte. Beim Beten hatten sie es anschauen müssen. Jesus am Kreuz, die Arme ausgebreitet wie
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