Karma-Attacke (German Edition)
Abflussrinnen, aus denen Kummer, Sorgen und Leid heraustropften, durch die Nägel, die in die Hände geschlagen waren. Das Herz erstrahlte, von einem Lichtkreis umgeben. Der Kopf mit der Dornenkrone hing schlaff herab, und trotzdem lag ein mildes, ja geradezu entspanntes Lächeln auf dem Gesicht.
Die Fleischtheke, über die Tom noch gar nicht gucken konnte, weil er viel zu klein war. Er stand dabei, wenn seine Mutter Gehacktes bestellte, und sah zu, wie die feiste Metzgersfrau rosarote Fleischlappen in die Maschine drückte und nach ein paar Drehbewegungen vorn das gehackte Fleisch herausquoll.
Die Nussmühle zu Hause. Er hatte sie jedes Weihnachten benutzt, um die Nüsse von seinem Teller zu feinem Staub zu mahlen. Dabei hatte er sich immer die Finger der Metzgersfrau vorgestellt, die Fleisch in den Zerhacker drückten und schließlich, als kein Fleisch mehr da war, selbst in die Maschine gerieten, bis vorn kein Rindergehacktes mehr heraustrat, sondern menschliches Fleisch und Blut.
«Nun kann dein Herz dein Lebenslicht durch den ganzen Körper pumpen. Durch alle Adern kommt es in die kleinsten Verästelungen deines Nervensystems. Die feinsten Kapillaren deines inneren Kanalsystems werden erreicht. Dein kraftvolles Herz pumpt dein Licht mit jedem Atemzug tiefer und tiefer in deinen Körper, sodass es alle Organe durchfluten kann. Sieh nur, wie dein Magen erstrahlt. Dein Magen, der so viel zu verdauen hatte, dem so viel zugemutet wurde und der nun freudig das Licht begrüßt. Sie sind abhängig voneinander, das Licht deiner Seele und dein Körper. Nur dass dein Licht auch ohne deinen Körper leben kann, aber dein Körper nicht ohne deine Seele.»
Tom wurde schwindlig. Er fühlte sich schwer und leicht zugleich, er hätte in einem Lufthauch davonschweben und doch von keinem Sturm umgeblasen werden können. Professor Ullrich redete von Entspannung, doch Tom empfand es eher als Erschlaffen. Und obwohl alle Kraft aus ihm wich, fühlte er sich energiegeladen wie nie zuvor. Die widersprüchlichen Gefühle regten ihn nicht auf. Er registrierte sie als ebenso natürlich wie den Wechsel der Jahreszeiten.
Als das Licht schließlich die Oberschenkel durchflutete und die Knie erreichte, hätte Tom zu gern die Beine ausgestreckt, sich ganz lang gemacht und gereckt. Daran hinderte ihn der Schrank, aber im Geiste vollzog er die Bewegung trotzdem. Er sah sich als vom Kopf bis zu den Knien durchfluteten Lichtkörper, schwebend, vollkommen frei und schwerelos. Er konnte sich recken und strecken, so viel er mochte. Nirgendwo stieß er auf einen Widerstand.
«Nun gelangt dein Licht zu den Knien. Lass dir Zeit. Die Knie sind sehr wichtig. Sie haben dich die ganze Zeit getragen. Jeden deiner Schritte bist du mit ihnen gegangen. Alle Lasten, alle Gewichte haben sie ausgehalten. Es gab Kulturen, die glaubten, dass in den Knien das Ego liegt. Lass dein Licht Heilung in die Knie bringen, und danke ihnen für alles, was sie für dich getan haben. Dann lass dein Lebenslicht in die Waden eindringen und bis zu den Knöcheln fließen. Schließlich durch die Füße bis hinein in die Zehen. Deine Zehen sollen sensibel werden wie deine Zunge und deine Fingerspitzen, denn dein Licht streichelt sie von innen.»
Jetzt spürte Tom, wie eng diese Westernstiefel waren. Seine Zehen waren eingeklemmt in ihrem feuchten Gefängnis, und trotzdem sah er, wie sie sich bewegten und von innen gegen das raue Leder drückten.
Außer der Stimme von Professor Ullrich hörte Tom tiefe, gleichmäßige Atemzüge. Fast ein Schnarchen. Das war Vivien.
«Nun lass das Licht durch alle Poren aus deinem Körper dringen. Fürchte nichts. Es ist immer da. Niemand kann es dir wegnehmen. Es ist vollständig deins. Dein Lebenslicht hüllt dich ein wie ein Kokon. Es schützt dich. Nichts kann dir geschehen.»
Einen Augenblick schwieg er, dann fuhr er fort: «Du siehst nun vor dir ein Treppenhaus. Schau es dir genau an. Die Treppe führt nach unten. Ich werde langsam von fünf bis eins zählen. Mit jeder Zahl wirst du die Treppe weiter hinabsteigen. Du wirst dabei immer tiefer entspannen, und schließlich wirst du unten ankommen. Dort siehst du ein Licht. Es ist dein Lebenslicht. Du kannst durch das Tor dort unten in dein eigenes Lebenslicht eintreten. Da werden die Begrenzungen von Zeit und Raum für dich keine Bedeutung mehr haben. Du kannst dich frei bewegen und an alles erinnern, was jemals mit dir geschehen ist. Lass uns dann zum Ursprung deiner Probleme im Jetzt gehen.
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