Karma-Attacke (German Edition)
sie Hillrucs?»
«Nein. Ihre Knechte. Sie haben selbst nur Angst. Sie gehören Toi.»
«Ist Toi ein Hillruc?»
«Ja. Ein schlimmer. Sie opfern uns. Wir werden gemästet und geschmückt und … aber mich kriegt er nicht.»
«Weil du nicht isst?»
Vivien schluckte. Sie schien irgendetwas Furchtbares zu sehen. Professor Ullrich fürchtete, sie könnte ohnmächtig werden.
«Ist Dana bei dir?»
«Wer?»
«Kennst du Dana? Ist sie auch im Käfig?»
«Nein. Aber ich bleibe nicht hier.»
«Was tust du?»
«Ich gehe weg.»
«Einfach so?»
Sie lächelte. «Ich bin nicht blöd. Ich verrate nichts. Ich haue ab.»
Jetzt begann sie so heftig am ganzen Leib zu zittern, dass der Professor es vorzog, sie zurückzuholen. Er konnte sie jederzeit wieder in diesen Zustand versetzen.
Doch er war nicht schnell genug. Sie federte vom Bett, floh in die Mitte des Raumes, stand da wie an einem Abgrund, breitete die Arme aus, reckte sie zur Decke und brüllte. Ihr Körper versteifte sich. Sie fiel nach hinten. Er wollte sie halten, kam aber zu spät. Ihr Kopf schlug gegen das Tischbein. Als sie die Augen öffnete, war nur das Weiße zu sehen, es war von roten zuckenden Adern durchzogen. Ihr Brüllen klang verzweifelt. Sie hatte Todesangst.
«Vivien! Uta! Kannst du mich hören?»
«Er soll weggehen! Weg! Hilf mir! Er holt mich!»
In ihrer großen Angst entstand Wut. Sie trat zu und traf Ullrichs Knie. Er stöhnte und fiel. Zugleich verspürte er einen Fluchtimpuls. Für einen Moment nahm der Schmerz ihm die Luft. Schließlich zog er sich am Bettgestell hoch. Vivien lag auf dem Boden und trat weiter um sich wie ein auf den Rücken gefallener Käfer.
«Ich zähle bis drei, dann bist du wieder im Hier und Jetzt. Dann bist du Vivien. Nicht länger Uta. Eins!»
«Nein!», kreischte sie. «Nein! Ich kann Uta nicht allein lassen! Uta braucht mich! Uta hat nichts gemacht! Gar nichts. Nicht gegessen, nichts! Warum holt er mich?»
«Zwei. Du kommst zurück in dein Leben auf der Erde. Geh weiter in der Zeitschiene. Zeit spielt keine Rolle. Du kannst in dein jetziges Leben kommen. Es ist Sommer. Komm! Drei.»
Sie trat in die Richtung, aus der seine Stimme kam, und schnitt Grimassen. Zum ersten Mal weigerte sie sich, zurückzukehren.
«Toi will mich nehmen. Aber … ich gefalle ihm. Er schubst die anderen weg. Josch soll kommen.» Sie richtete sich auf, legte die Hände verstärkend um die Lippen und rief ihn mit aller Kraft: «Jooosch! Jooosch!»
Ihre Stimme klang tiefer als sonst, fremd, wie die eines Waldmenschen. Dann streckte sie die Hände nach ihm aus. Ihre Finger berührten seine wie Spinnenbeine das Netz. Professor Ullrich hielt ihre Hände fest, als könnte er sie so ins Jetzt zurückziehen.
«Wer ist Josch? Auch ein Hillruc?»
Sie schüttelte den Kopf. «Nein. Alle in Droba hören auf ihn.»
«Ist er ein Herrscher? Ein Häuptling, ein König oder was?»
«Nein. Josch ist mein Freund. Er ist ein Heiler. Er kann gesund machen. Er spricht mit dem Hillruc.»
«In welcher Sprache?»
«Das weiß ich nicht.»
Sie wurde ruhiger. Ihr Atem ging regelmäßiger, ihre Füße bewegten sich, als ginge sie über Geröll.
«Ist Josch gekommen?»
«Ja. Josch ist da. Er sagt dem Hillruc, dass ich noch zu dünn bin. Er verspricht ihm, mich fett zu füttern. Toi schimpft und nimmt eine andere Tschika, nicht mich. Er holt sich eine von denen, die immer gegessen haben.»
Viviens Kopf hing kraftlos am Hals. Ihre Nackenmuskeln erschlafften vollständig.
«Was geschieht jetzt? Sprich weiter!»
Professor Ullrich ärgerte sich über sich selbst. Er gab ihr verwirrende Befehle. Erst sollte sie zurückkommen. Er zählte sie an, dann ließ er sie dort und bedrängte sie mit Fragen. Er benahm sich wie der letzte Stümper. Entweder hatte ihn ihre Erzählung so verwirrt oder … - ach was. Diesen Gedanken wischte er sofort weg. Es war die neue Geschäftsführung. Mit dieser Katrin Reb würde er ja klarkommen, aber Rottmann -, der würde ihm in die Arbeit pfuschen. Er wusste, dass er gar nicht erst zu versuchen brauchte, sich mit diesem Mann zu einigen. Das war ein Feind.
Man musste herausfinden, wer man war, und dann versuchen, es zu sein. Nach diesem Prinzip lebte der Professor seit Jahren. Es vereinfachte vieles. Kompromisse waren seine Sache nicht. Wenn er versuchte Kompromisse einzugehen, fühlte er sich falsch, nicht authentisch. Es machte ihn krank. Er begann Fehler zu machen und …
«Josch hat versprochen, mich hier rauszuholen.
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