Karma-Attacke (German Edition)
diese lächerliche Zivilisation auf der Erde ihm nicht gewachsen. Ihre Probleme berührten ihn nicht, ihre Speisen konnten ihn nicht vergiften. Nichts kam wirklich an ihn heran.
Er wollte diese Nacht zur Reinigung und Klärung nutzen. Mit Viviens Hilfe hatte er viel von seiner alten Thara-Kraft zurückerhalten. Doch der Kanal lag längst noch nicht frei. Zu vieles war noch im Dunkeln verschüttet. Er spürte die unglaubliche Energie am anderen Ende des Tunnels. Sie drang nur tröpfchenweise zu ihm durch.
Ja, er konnte mit seinen Händen Frauen betören und Wunden schließen. Mit Hilfe seiner Fingerkuppen konnte er die Wahrheit aus den Dingen saugen. Doch er spürte, für Josch wären das alles nur Spielereien gewesen. Auf Thara hatte er viel mehr gekonnt. Könnte er hier seine volle Thara-Kraft zur Entfaltung bringen, die Menschen würden ihn verehren wie einen Gott.
Für einen Moment schweiften seine Gedanken ab. War Jesus auch ein Heiler von Thara gewesen? War das Paradies vielleicht Thara, bevor die Hillrucs gekommen waren? Hatte nicht überhaupt alles auf Thara seinen Ursprung? Warum sonst hatte es dort Menschen gegeben wie hier?
Er streckte die Arme aus, als ob er den Mond vom Himmel ziehen könnte. Er spürte ihn in seiner Hand. Er saß zitternd mit angezogenen Knien und ausgestreckten Armen auf diesem Basaltstein und spürte, dass immer mehr Thara-Energie in ihn hineinfloss. Er selbst war es gewesen, der den Kanal verstopft hatte. Zu viel Verstand. Zu viele Kontrollversuche. Zu viel kausales Denken. Zu viele Warum. Nicht mehr wissen und verstehen wollen. Einfach nur noch sein. Die eigene Kraft spüren. Dem Körper die Herrschaft nehmen und ganz das werden, was wir alle eigentlich waren. Das Lichtwesen, das diesen Körper nur bewohnte und jederzeit wieder verlassen konnte.
Langsam richtete er sich auf. Die Kraft kam aus den Füßen und aus den Waden. Kein Mensch, der etwas über Gleichgewicht, Mittelpunkt und physikalische Gesetze wusste, hätte so stehen können. Er wäre einfach umgefallen. Doch jetzt, da sein Verstand dieses Wissen ausgeschaltet hatte, schwebte er fast, nur noch mit den Zehen an den Steinrand gekrallt. Er kannte das Phänomen aus der Hypnose. Er konnte Menschen steif werden lassen wie ein Brett. Konnte sie mit den Füßen auf einen Stuhl legen und mit dem Kopf auf einen anderen, sodass sie eine Brücke bildeten, über die er mühelos gehen konnte. Niemand hätte das mit Willenskraft hingekriegt. Der Verstand, der den Körper kontrollierte, glaubte nicht an solche Möglichkeiten.
Dann ging Peter Ullrich ins Wasser. Einige Aale folgten ihm sofort. Er tauchte ganz unter und ließ sich auf den schlammigen Grund sinken. Hier war er zu Hause. Er konnte alles sehen und alles hören. Es war nichts Bedrohliches da. Er fühlte sich wie ein Teil des Flusses.
Peter Ullrich grub die Hände in den Schlamm und rieb sich damit das Gesicht ab. Er wusste, dass er siegen würde.
27
Der Milchmann kam an diesem Morgen nicht zur Klinik. Der gute Mensch, von allen nur «Milchbauer» genannt, war gestern kurz nach der Auslieferung der letzten Flaschen an einem Schlaganfall gestorben.
Marga hatte beschlossen, dem Professor einen Pullover zu stricken. Er sollte ihn immer warm halten und an sie erinnern. Sie wollte ihm ihre Liebe zeigen. Sie hatte Angst, von ihm abgelehnt zu werden. Der Professor und die Putzfrau. Der drahtige Endvierziger und die fette Oma. Sie wusste, alles das sprach dagegen. Trotzdem keimte in ihr eine Hoffnung: Für jemanden, der sprach wie der Professor, war das alles möglicherweise belanglos.
Vivien wusste, dass sie von allen beobachtet wurde. Sie hatte ihre Tasche bereits gepackt. Sie würde mitgehen, genau wie sie es mit Professor Ullrich besprochen hatte. Ihr Vater hatte einen Punktsieg erkämpft. Mehr nicht. Die Gerichte auf dieser Erde würden den Kampf auf Thara nicht entscheiden.
Ullrich hatte ihr die Augen geöffnet. Er glaubte, dass ihr Vater ein Hillruc war: Toi.
Toi war immer in ihrer Nähe gewesen. Sie erinnerte sich. Nur in der Zeit, in der ihr Vater selbst in einer Klinik eingesperrt gewesen war, hatte sie wirklich Ruhe vor seiner zerfleischenden Haifischenergie gehabt. Bilder kamen in ihr hoch. Viele merkwürdige Einzelheiten ihrer Kindheit blitzten auf. Es war ihr immer schon unangenehm gewesen, wenn sie in der Badewanne gesessen hatte und ihr Vater hereingekommen war. Es war immer öfter passiert. Das Badezimmer schien eine magische Anziehungskraft für ihn zu
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