Karma-Attacke (German Edition)
ihr Vater ihr angetan hat. Und die reagiert dann auf mich, als sei ich ein Hillruc.»
Sie stieß ihn von sich weg. Am liebsten hätte sie sich wieder im Bett verkrochen.
Der Professor formte handflächengroße Frikadellen und entzündete die Gasflamme unter der großen Pfanne. Als das Fett darin zu brodeln begann, drehte sie sich wieder zu ihm um. Er ließ die ersten Fleischklöße in das zischende Fett gleiten und stand dabei mit dem Rücken zu ihr.
«Wie hältst du das alles aus?», fragte sie emotionslos.
Er drehte sich zu ihr um. Dabei nahm er die Pfanne vom Herd und ließ die Frikadellen aus der Pfanne hochhüpfen. Sie drehten sich in der Luft und klatschten spritzend zurück. Eine kleine Showeinlage für Vivien. Er wollte sie aufheitern und versuchte es noch einmal. Diesmal fiel ein Fleischklops auf den Boden. Er stellte die Pfanne auf den Gasherd zurück, bückte sich und hob die heiße Frikadelle auf. Er warf sie von einer Hand in die andere wie ein Jongleur im Zirkus.
Vivien wollte sich darauf nicht einlassen. Sie kannte seine Ablenkungsmanöver. Er war ein Meister der Ablenkung. So sachlich wie möglich wiederholte sie ihre Frage. Sie wunderte sich, wie schnell sie zwischen Angst, Trauer, Wut, Freude, Scham und Sachlichkeit hin und her gehen konnte. Sie versank nicht mehr in einem Zustand. Sie fühlte, dass sie auch das von ihm gelernt hatte: herauszukommen aus jedem Gemütszustand, egal, wie tief sie gerade erst hineingerutscht war. Er zeigte ihr, wie sie sich an den eigenen Haaren immer wieder aus dem Sumpf herausziehen konnte.
Wieder spürte sie die übergroße Dankbarkeit in sich und hätte ihn umarmen können. Trotzdem bemühte sie sich um einen gleichgültigen Gesichtsausdruck. Vor ihm etwas zu verbergen war schwer. Was er nicht aus ihrer Stimme hörte, erkannte er an ihrem Ausdruck. Außerdem erschien es ihr immer mehr so, dass er durch eine Berührung ihrer Haut in tiefe Seelenschichten vordrang. Er bekam dann Zugang zu einem Wissen, das in ihr schlummerte, ihr aber selbst noch nicht zur Verfügung stand. Sie wusste nicht, wie sie darauf kam. Es war nur ein Gefühl. Aber sie vertraute diesem Gefühl. Sie würde versuchen herauszukriegen, ob es wirklich so war, sie wollte ihn testen. Aber wie?
Vielleicht, dachte sie, gibt es eine ganz simple Erklärung. Er ist Josch. Der Heiler. Josch, der seine ganze Kraft aus seiner Güte zieht. Josch, der nie etwas Böses tun kann, aus Furcht, seine heilenden Kräfte zu verlieren. Welches Glück, ihn bei sich zu haben.
Da saß er nun auf dem Boden wie ein spielendes Kind und aß mit Heißhunger den kaum angebratenen Fleischkloß. Rohe Krümel, rot und weiß, fielen aus seinem Mund auf den Boden. Angst vor Bakterien hatte er nicht. Er aß einfach vom Boden weiter. Es schien ihr, als würde er sich nur notdürftig beherrschen und dazu zwingen, die Fleischstückchen mit den Fingern aufzunehmen. Viel lieber wäre er auf allen vieren gekrochen und hätte sie vom Holzboden geschleckt.
Noch einmal wiederholte sie ihre Frage. «Wie hältst du das alles aus?»
Er legte den Kopf schräg, sah sie grinsend an und lachte: «Das ist mein Beruf, Vivien. Ich habe es gelernt.»
Vivien glaubte nicht, dass es so einfach war. «Bist du nie wütend auf mich? Hast du nie Lust, mir eine zu knallen? Ich hab dich doch manchmal bis zur Weißglut gereizt.»
Er stand auf und sprang zur Pfanne zurück. Er bewegte die Frikadellen darin ein wenig hin und her und begann, während sie nun anbrieten, mit den Fingern aus dem restlichen Fleisch neue Klöße zu formen. Er nahm dazu genügend Fleisch, um einen Fußball zu kneten.
Sie wollte ihm in die Augen sehen, deshalb lief sie quer durchs Zimmer zurück und setzte sich auf die Spülmaschine. Der Qualm aus der Pfanne stieg zu ihr auf. Jetzt spürte sie ihren Hunger wie ein wildes Tier in sich. Doch noch größer war die Gier nach Antworten.
«Du hast mich nicht zur Weißglut gereizt», sagte er. «Du hast mich ausgetestet.»
«Ausgetestet?»
«Ja, du wolltest wissen, was ich für einer bin. Kann ich gut verstehen.» Er tippte ihr gegen die Stirn. «In deinem kleinen Hirn weißt du ganz genau, dass die dich umgebende Wirklichkeit nicht alles ist. Da ist viel mehr dahinter. Du hast Zugang zu anderen Welten. Du kommst von Thara.»
«Du auch.»
«Ja, ich auch.»
Mit der rechten Hand knetete er weiter, mit der linken beschrieb er einen Kreis durch den Raum und haute sie dann flach gegen den Hängeschrank der Einbauküche, sodass die
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