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Karma Girl

Titel: Karma Girl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanuja Desai Hidier
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andere wertvolle Stück darunter. Meine Mutter ließ sich nichts entgehen, wenn sie in Indien einkaufen ging; man hatte den Eindruck, sie wolle das ganze Land in ihrem Koffer mit nach Hause bringen.
    Gwyn griff in die Schublade und nahm einen Gegenstand heraus.
    »Oh, mein Gott!«
    Sie streifte ihn sich übers Handgelenk und im Spiegel konnte man es glitzern und funkeln sehen. Gwyn schien vollkommen verzaubert. Als ich näher kam, sah ich zwei Rakhis an ihrem Handgelenk, die sich in ihrer ganzen Farben- und Blütenpracht aneinander schmiegten.
    Rakhis sind farbige Armbänder. Sie bestehen gewöhnlich aus einem Band, das mit roten, pink- und orangefarbenen Blüten verziert ist, die in Blätter aus Metallfolie eingefasst sind. Man trägt sie zu Raksha Bandhan, dem Feiertag, an dem Schwestern ihre Brüder ehren. Die Schwester bindet ein Rakhi um das Handgelenk ihres Bruders, und im Gegenzug verspricht er ihr, dass er sie für immer beschützen wird – was heutzutage häufig darin kulminiert, dass er ihr eine Summe zwischen einer und hundertundeiner Rupie überreicht.
    Meine Mutter wurde während des Raksha Bandhan immer ziemlich traurig, weil ihr Bruder gestorben war, als ich noch ein Kleinkind war. Aber sie bewahrte die Rakhis auf und trug sie stets, wenn sie an diesem Tag in den Tempel ging.
    Ich erzählte Gwyn davon.
    »Wow«, sagte sie, streckte den Arm aus und starrte die blumigen Rakhis an ihrem Handgelenk an. »Das ist ja cool – Schwestern, die ihre Brüder ehren. Ich hätte gerne einen Bruder. Komisch, aber es fühlt sich an, als ob ein Bruder meine Hand halten würde, wenn ich die trage. Glaubst du, deine Mutter fühlt etwas Ähnliches? Du weißt schon, in Bezug auf deinen Onkel.«
    »Vielleicht«, sagte ich. Ich hatte noch nie so über diese Sache gedacht. Seltsam, dass Gwyn, die selbst so gut wie nie über ihre Familie sprach, so dachte.
    »Also, ich kann kaum glauben, dass du all diesen Schmuck einfach hier so in der Schublade liegen hast, Dimple. Wenn ich du wäre, würde ich mich in die indische Flagge einwickeln und so zur Schule gehen – ganz im Ernst! Einfach um ein bisschen indischen Zauber an unserer guten alten Penne zu versprühen.«
    Sie berührte vorsichtig eine der Blüten, als ob sie zerbrechen könnte.
    »Außerdem sind die wunderschön. Oh, bitte, kann ich mir die ausleihen, damit ich die zusammen mit meinem Top anziehen kann? Das passt so gut zusammen.«
    Ihr Top? Vor ein paar Minuten war es noch meins gewesen!
    »Ich weiß nicht, ob meine Mutter …«
    Genau in dem Augenblick tauchte meine Mutter in der Tür auf. Sie sah Gwyn an, die mit all dem indischen Schmuck dastand.
    »Wollt ihr zwei etwas zu Mittag essen?«, fragte sie. »Ich hab Sandwichs mit Tunfisch und Pfefferminz-Chutney gemacht.«
    Ihr Blick fiel auf Gwyns Handgelenk.
    »Ähm, ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, Mrs Lala«, sagte Gwyn beinahe schüchtern. »Sie sind einfach so schön, und ich dachte, es wäre doch eine Schande, wenn sie einfach hier in der Schublade liegen würden. Und … ich weiß auch nicht, aber irgendwie geben sie mir das Gefühl, als hätte ich einen Bruder.«
    »Ja, ich glaube, mir geht es ganz genauso, wenn ich sie trage«, sagte meine Mutter und lächelte ein bisschen traurig. Gwyn hatte also Recht gehabt. Ich schämte mich ein bisschen.
    »Ich leg sie wieder zurück«, sagte Gwyn und versuchte, schnell die Knoten der roten Bänder zu lösen. Aber meine Mutter legte ihr liebevoll die Hand auf den Unterarm.
    »Nein, behalt sie nur um«, sagte sie. »Du hast vollkommen Recht: Sie gehören nicht in die Schublade. Nimm sie nur, sie sehen toll an dir aus. Es macht mich nämlich glücklich, wenn jemand Freude daran hat.«
    Ich weiß, dass das jetzt verrückt klingt, aber nun wollte ich sie haben. Ich wollte Freude daran haben. Gwyn umarmte bereits meine Mutter.
    »Und viel Spaß heute Abend«, sagte meine Mutter. »Wie süß – eine Pyjama-Party. So als wärt ihr noch kleine Mädchen.«
    Sie sah tief bewegt aus, und ich hatte im selben Moment ein ziemlich schlechtes Gewissen, was die Unverfrorenheit unseres Alibis anging: Denn hier handelte es sich ja nicht um eine »Girls only«-Party, und Pyjamas waren so ziemlich das Letzte, woran wir dachten.
    Meine Mutter schien sich wieder gefasst zu haben und nahm nun die Klamotten auf meinem Bett ins Visier.
    »Und Dimple, räum bitte die Sachen wieder weg, ja? Wozu hat man einen Schrank, wenn man alle Sachen so herumliegen lässt?«
    Gwyn kicherte.
    »Genau,

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