Karma Girl

du bist so still«, bemerkte Karsh, als ein bananengelber Lastwagen an uns vorbeifuhr. »Alles okay mit dir?«
    »Ich glaub, ich bin nur ein bisschen müde«, sagte ich. »Sonst nichts.«
    »Nichts gibt's gar nicht.«
    Gwyn hatte sich jetzt die Sonnenbrille aufgesetzt, sodass man ihre Augen nicht mehr richtig erkennen konnte. Sie machte sich am Radio zu schaffen, produzierte aber mehr Rauschen als Musik, während sie einen Sender suchte. Doch Karsh starrte mich unaufhörlich im Rückspiegel an – so intensiv, dass ich mich wegdrehen und wieder aus dem Fenster sehen musste.
    ★ ★ ★ Bei der Mall setzte uns Karsh am Eingang von Macy's ab.
    »Ich bring nur schnell meine Mutter rüber zum Autofritzen und bin sofort wieder zurück«, sagte Karsh.
    »Prima«, sagte Gwyn. »Wir treffen uns im Videoladen. Versprichst du, dass du schnell wieder hier bist?«
    »Versprochen.«
    »Ich werd hier nämlich ganz kribbelig«, sagte sie mit absolut perfekter Babystimme. »Das letzte Mal, als ich hier war, äh … war ich mit Dylan hier.«
    »Mach dir keine Sorgen, wir werden die schlechten Erinnerungen schon vertreiben. Stimmt's, Dimple?«
    »Äh, jaja«, sagte ich. »Ich meine: auf jeden Fall! «
    »Und unser Dinner bezahl ich nachher«, sagte er. Er kurbelte das Fenster ein Stück nach oben, und sie warf ihm eine Kusshand zu, als er aus der Parklücke fuhr. Er warf ihr eine zurück, die sie prompt einfing, und dann mir auch eine (wahrscheinlich aus Höflichkeit), aber Gwyn fing die Kusshand ebenfalls auf und tat so, als täte sie sie in ihre Lunch-Box. Kaum zu fassen: Jetzt stahl sie sogar Kusshände! Das war ja wohl total abartig!
    Karsh hatte allein durch seine Gegenwart die Spannung zwischen uns ein bisschen abgemildert, doch nun kam alles doppelt und dreifach zurück. Wir vermissten ihn jetzt schon. Und so standen wir nebeneinander auf dem Bürgersteig und schwiegen uns an, als hätten wir uns nichts mehr zu sagen.
    »Okay, ich glaub, ich geh dann mal ins Fotogeschäft«, sagte ich.
    »Nee, warte mal. Ich komm mit. Karsh kommt bestimmt nicht vor 'ner halben Stunde zurück.«
    Natürlich. Sie musste ja die Zeit totschlagen.
    Es war ein seltsames Gefühl, wieder in der Mall zu sein. Seit unserem verflixten Doppel-Date war ich nicht mehr hier gewesen. Früher war die Mall immer ein schöner, sicherer (manchmal, beim Klamottenkaufen, auch stressiger) Ort gewesen. Doch jetzt machten mich all die schlanken Schaufensterpuppen ohne Brustwarzen und die ganzen Sale!-Sale!-Sale! – Schilder nur noch depressiv.
    Der Fußboden war zu grau und das Licht zu künstlich. Rentnerpaare gingen hier im wohltemperierten Klima spazieren und die Teenies gaben auf Teufel komm raus ihre letzten paar Kröten aus. Irgendwie wirkte heute alles wie eine einzige Abzocke.
    Mit Ausnahme natürlich vom Fotogeschäft!
    Ich wollte gerade auf die Fischaugen-Objektive zusteuern, als Gwyn mich am Arm fasste.
    »Komm, Dimple – so wie in guten, alten Zeiten!«
    Sie deutete auf den Fotoautomaten in der Ecke, in dem sie damals ohne mein Wissen das Foto für den gefälschten Ausweis gemacht hatte. Gute, alte Zeiten? Die Zeiten kamen mir auf einmal ur alt vor: Der Tag, an dem sie mir den Ausweis geschenkt hatte, schien Ewigkeiten her zu sein. Und noch eine andere Sache war altbekannt: dass Gwyn jederzeit für ein Foto zu haben war, selbst jetzt.
    »Ach, ich weiß nicht, Gwyn«, sagte ich.
    Doch sie zerrte mich bereits Richtung Automat und schubste mich beinahe hinein.
    »Das wird lustig«, sagte sie. »Nur vier Bilder.«
    Wir zwängten uns in die winzige Box. An dieser Stelle ein Ratschlag für alle: Wenn man neben jemandem schon so nervös ist, dass sogar in den weiten Gängen der größten Mall im gesamten Landkreis das klaustrophobische Gefühl nicht aufhört, dann ist der letzte Ort, an dem man mit dieser Person sein will, das Innere eines Fotoautomaten. Die Spannung war jetzt beinahe unerträglich.
    Das letzte Mal, als wir hier gewesen waren, hatte sie mich auf ihren Schoß gesetzt. Diesmal unterließen wir diese Spielchen und taten so, als wären wir vollkommen damit zufrieden, mit jeweils einer Pobacke auf dem Sitz Platz zu haben (na gut, sie hatte vielleicht sogar mit ihrem ganzen Hintern Platz).
    Wie gesagt, ich fühlte mich ganz und gar nicht wohl in meiner Haut, und nachdem Gwyn ein paar Münzen in den Automaten gesteckt hatte und die Maschine zu surren anfing, hielt ich es nicht mehr aus. Der Apparat fing an zu blinken, und Gwyn wurde ganz aufgeregt und