Karma Girl
rutschte noch näher ans Objektiv heran, wobei sie mich von der Stuhlkante schubste. Ich nutzte die Gelegenheit und sauste aus der Kabine. Gwyn blieb drin sitzen, man konnte ihre hochhackigen Schuhe unter dem verrutschten Vorhang sehen.
»Was sollte das denn?«, fragte sie, als sie wieder herauskam.
»Weiß nicht. Mir war ein bisschen … heiß.«
Aber sie hörte gar nicht richtig zu. Stattdessen schnappte sie sich die fertigen Fotos und aus reiner Neugier schaute ich ihr über die Schulter.
Das erste Foto zeigte uns beide nebeneinander. Na ja, jedenfalls ungefähr ein Viertel von meinem Gesicht und ein Drittel von ihrem, mit geschlossenen Augen. Auf dem zweiten sah man mein rechtes Ohrläppchen (ich fiel wohl gerade vom Stuhl) und Gwyn, und zwar mit dem gleichen Gesichtsausdruck wie auf dem ersten Foto. Auf dem dritten sah man Gwyn im Profil, wie sie mir einigermaßen verblüfft hinterhersah. Das Licht war ziemlich grell, vermutlich weil ich gerade mit dem Vorhang herumfuchtelte. Und auf dem vierten, völlig überbelichteten Foto sah man Gwyn, wie sie den Betrachter ziemlich sexy aus halb geschlossenen Augen fixierte – ein Blick, von dem ich mir ziemlich sicher war, dass sie ihn von Kavita abgeguckt hatte.
»Du bist ja kaum drauf«, sagte sie. »Na ja, was soll's. Ich kann sie auch Karsh geben, schließlich wollte ich schon immer, dass er ein Foto von mir fürs Portmonee kriegt. Dann bekommt er jetzt eben vier.«
Sie strahlte und verstaute die Fotos vorsichtig in ihrer Handtasche. Ich biss die Zähne zusammen und spürte förmlich, wie sich die Worte dahinter wie Kaugummi blähten. Wenn ich meinen Mund auch nur einen Spaltbreit öffnete, dann würden sie nur so herausströmen und uns beide in einen riesigen Schlamassel stürzen. Ich war mir nicht sicher, ob es nicht doch besser war, einfach die Klappe zu halten. Allerdings erstickte ich fast an den ungesagten Dingen.
Wir verließen das Fotogeschäft. Ich ging ziemlich schnell, jedoch nicht schnell genug, um der ganzen vertrackten Situation zu entkommen.
Vor dem Hippie-Laden, dessen Schaufenster mit Federn, Perlen, Wachslampen und anderem Zeug dekoriert war, blieb Gwyn stehen und zog sich vor der Scheibe die Lippen nach.
»Mensch, ich hab gerade 'ne Eingebung«, sagte sie und ploppte mit den Lippen. »Erinnerst du dich noch an die Lichterketten-Deko bei East Is Feast? Ich finde, dass man die Idee gut klauen und die Palmen im HotPot auch so dekorieren könnte.«
»Na ja, das scheint ja deine Spezialität zu sein, oder?«, entfuhr es mir, ehe ich mich versah.
»Was denn?«
»Klauen.«
Sie wandte sich von ihrem Spiegelbild ab und drehte sich zu mir.
»Was soll das denn bitteschön heißen?«
»Nichts.«
Hätte ich bloß nicht damit angefangen! Aber aufhören ging auch nicht mehr. Das kommt davon, wenn man sich so lange zurückhält: Irgendwann gibt's einen regelrechten Erdrutsch. Unruhig trat ich von einem Fuß auf den anderen.
»Also gut«, sagte ich. »Es ist einfach so, dass ich immer noch nicht fassen kann, dass du einfach so meine Idee geklaut hast.«
»Welche Idee?«
»Welche Idee?! Ich bitte dich! Die ganze Idee mit der Party natürlich!«
»Die soll ich geklaut haben?«, sagte Gwyn eiskalt lächelnd. » Ich war doch diejenige, die das ganze Potenzial dahinter erkannt hat.«
Aber ich hatte immerhin die ursprüngliche Idee, damit sie überhaupt irgendwelche Potenziale erkennen konnte!
»Und überhaupt, Dimple: Ideen, die sind …«
Sie gestikulierte erst in Richtung Pflanzenkübel, dann in Richtung der Stände, die Duftkerzen, Teddybären und Broschen in Rentierform verkauften.
»… die sind einfach in der Luft! Im Übrigen hättest du aus der Idee sowieso nichts gemacht.«
»Aber hätten wir sie nicht wenigstens teilen können? Ich dachte, wir würden alles teilen.«
»Alles teilen? Also, du hast Kavita oder die Party im HotPot auch nicht mit mir geteilt – ich musste das erst durch Zufall herausfinden! Und das Buch über deinen Großvater – darüber hab ich auch nur von Sabs erfahren. Du hast deine Gefühle nie wirklich mit mir geteilt.«
Ich war sprachlos.
»Ist auch egal, Dimple«, fuhr sie fort und blickte auf die Teddybären, die plötzlich mehr nach struppigen braunen Punchingbällen aussahen. »Was geschehen ist, ist geschehen. Und überhaupt: Freust du dich nicht, dass Karsh glücklich ist? Schließlich war das doch der Sinn der ganzen Übung.«
»Natürlich freu ich mich, wenn Karsh glücklich ist.«
»Was kümmert's
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