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Karneval der Alligatoren

Karneval der Alligatoren

Titel: Karneval der Alligatoren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James G. Ballard
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erschöpft
atmen.
    Der ganze Platz erzitterte unter dem Hubschraubergedröhns
Daley war gestartet, drehte die Maschine langsam und senkte sie zum Landeplatz
hinunter. Riggs und Wilson flüchteten die Museumstreppe hinauf und beobachteten
von dort sein Manöver. Kurz vor dem Aufsetzen heulte der Motor noch einmal auf
dann zog Daley die Maschine wieder hoch. Kerans und Macready hatten sich hinter
die Brunnenumrandung geflüchtet. Plötzlich streifte die hintere Schraube die
Vorhalle des Gerichts, Marmor splitterte, der Hubschrauber ging zu Boden. Die
Propellerschraube drehte sich wie verrückt weiter. Daley stellte den Motor ab;
der Aufprall hatte ihn fast betäubt. Er mühte sich verzweifelt, seine Gurte
abzuschnallen.
     
    So war auch der zweite Versuch,
Hardman zu packen, fehlgeschlagen. Sie hockten im Schatten unter dem
Museumseingang und warteten auf das Abklingen der Hitze. Wie von riesigen
Schweinwerfern beleuchtet lag der Platz im gleißenden Mittagslicht; das Bild
erinnerte Kerans an ein überbelichtetes Foto. Ab und zu gab er Wilson etwas
Morphin und versorgte seine Wunde neu. Die anderen sahen sich noch immer nach
Hardman um und fächelten sich mit ihren Mützen Luft zu.
    Die Gebäude hinter dem Brunnen
verschwammen immer wieder in dem zitternden Glast, wie Geisterhäuser tauchten
sie auf und verschwanden wieder. Und auf einmal sah Kerans neben dem Brunnen
eine einsame Gestalt – in der überhitzten Luft wuchsen ihre Konturen
sekundenlang ins Riesenhafte, schrumpften dann wieder auf das Normalmaß
zusammen. Es war Hardman; seine sonnenverbrannte Haut sah kalkweiß aus, und die
dunklen Schlammkrusten gleißten im blendenden Sonnenlicht wie Gold.
    Kerans kniete sich hin; er erwartete,
Macready losstürzen zu sehen, aber sowohl der Sergeant wie Riggs standen
gekrümmt neben einer Säule und starrten geistesabwesend vor sich hin – als
wären sie eingeschlafen oder verzaubert.
    Hardman ging langsam über den Platz,
immer wieder verschwammen seine Konturen, seine Gestalt war mehr zu erahnen als
zu sehen. Keine zwanzig Meter von Kerans ging er vorbei, um den Hubschrauber
herum, kam zur Ecke des Gerichtsgebäudes und wandte sich den Sandbänken zu, die
hundert Meter weiter das Ufer begrenzten.
    Plötzlich brüllte Macready auf, er
rannte los und wies mit seiner Waffe in die Richtung, die Hardman gerade
eingeschlagen hatte. Riggs folgte ihm, ohne Mütze, die schmalen Schultern
vorgepreßt; müde und mutlos legte er Macready seine Hand auf den Ellenbogen.
»Lassen wir ihn laufen. Den kriegen wir nicht mehr. Ist ja auch ganz egal.«
    Hardman hatte schon zweihundert Meter
Vorsprung, er bewegte sich rasch und zielbewußt und schien die entsetzliche
Hitze gar nicht zu spüren. Als er den ersten Sandhügel erklommen hatte, hüllte
ihn eine gewaltige Dampfwolke ein – er verschwand endgültig. Vor ihm dehnten
sich die endlosen Ufer des Binnenmeeres, seine Ränder verschmolzen mit dem
brennenden Himmel. Kerans hatte das Gefühl, Hardman wandere über glühende Asche
direkt in die Sonne hinein.
     
    Zwei Stunden lang hockten sie noch im
Museum und warteten auf den Kutter. Riggs brummelte verärgert vor sich hin,
Daley brachte lahme Entschuldigungen vor; Kerans versuchte zu schlafen, wurde
aber immer wieder aufgeschreckt. Vom Hubschrauberlärm angelockt, hatte sich
eine Herde Leguane auf dem Platz eingefunden und kreischte die Männer auf der
Treppe wütend an. Ihr Anblick und ihr Geschrei versetzten Kerans so in Angst,
daß er noch auf der Fahrt zum Hauptquartier zitterte und innerlich weiter das
gräßliche Gebelfer hörte.
    Im Hauptquartier bettete er Wilson in
die Krankenstube, holte Bodkin und erzählte ihm alles. Als er von den Stimmen
der Leguane berichtete, nickte Bodkin und sagte: »Passen Sie auf, Robert, die
werden Sie vielleicht noch mal hören.« Über Hardmans Flucht enthielt er sich
jeglichen Kommentars.
    Kerans' Katamaran lag auf der anderen
Seite der Lagune verankert. Er beschloß, diese Nacht in seiner Kabine zu
verbringen. Nachmittags verspürte er etwas Fieber und legte sich in seine Koje.
All seine Gedanken kreisten um Hardman, um dessen merkwürdige Fahrt nach Süden,
die goldglänzenden Sandbänke erschienen ihm wie im Traum, abschreckend und
anziehend zugleich, wie die verlorenen und doch ewig lockenden, unerreichbaren
Gestade des urzeitlichen Paradieses.

5
     
     
    Nachts kamen die richtigen Träume. Er
sah sich an Deck stehen und über die schwarzglänzende Lagune blicken. Dichte
Schwaden

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