Karneval der Alligatoren
Paneeltür zum Saal und löste das
Telefonkabel, um sich von Strangmans Stimme zu befreien.
Auch die Stufen in den Zuschauerraum waren
sandbedeckt. In der Mitte des Kuppelraums war das Wasser wärmer als in dem
Kämmerchen darüber – er kam sich vor wie von heißem Balsam umflossen. Auf dem
Podium stand ein Projektor, aber die Ritze im Dach ließen Licht durchschimmern,
so daß der Eindruck eines Sternenhimmels entstand. Er betrachtete die
ungewöhnlichen Sternbilder dieses unbekannten Universums wie ein fremdes, nie
gesehenes Land.
Je länger Kerans hinstarrte, um so
wichtiger kam es ihm vor, diese Sternbilder festzuhalten – vielleicht eine
Wiedergabe des Himmels, wie er zur Zeit des Trias war. Nichts war jetzt
wichtiger als dies. Er steig vom Podium herunter und ging wieder in die
Richtung des Kontrollraums – das Luftkabel zog er sorgsam hinter sich her. Bei
der Tür entschlüpfte ihm das Kabel, voller Wut packte er es in einer Schlaufe
und verankerte sie an der Türklinke. Er wartete, bis das Kabel sich straffte,
wand es ein zweites Mal um die Klinke und ließ gerade so viel Spiel, daß er
bequem im Raum herumgehen konnte. Er ging nochmals die Treppe hinunter, den
Kopf nach hinten gelegt, und wollte sich die Konstellation an der Kuppel ganz
genau einprägen. Die Muster kamen ihm jetzt schon vertrauter vor als die
altbekannten des Himmels draußen. Milliarden Sternentage hatten sich in
konvulsivischer Rückentwicklung von neuem gebildet, Nebel und Formationen
wiederhergestellt, wie sie ursprünglich einmal bestanden.
Ein scharfer Schmerz durchfuhr sein
Ohr, er mußte schlucken und merkte plötzlich, daß keine Luft mehr durch die
Ventile trat. Alle zehn Sekunden zischte es, aber der Druck war stark gefallen.
Ihm wurde übel, er stolperte zur Türklinke und versuchte das Kabel zu lösen. Er
war sicher, daß Strangman die Gelegenheit dazu benützt hatte, einen ›Unfall‹ zu
inszenieren. Er rutschte auf einer Stufe aus und fiel ungeschickt wie ein
beschwerter Ballon über die Sitze.
Als sein Helmlicht das Kuppelgewölbe
streifte überkam ihn Übelkeit. Er legte sich hintüber, griff mit einer Hand
schwach nach der Schlauchwindung an der Klinke. Alle Grenzen zwischen dem
sanften, tröstlichen Druck des Wassers und dem seines Blutes verwischten sich.
Er fühlte sich in der tiefen Sandwiege getragen wie in einer unendlich großen
Placenta, weicher als je ein Bett gewesen war. Während ihm das Bewußtsein
schwand, sah er noch die uralten Sternennebel und Sternbilder glitzern, das
Licht wurde aber immer schwächer, und zuletzt blieb nur ein Abglanz davon noch
in seinem tiefsten Inneren erhalten. Er bewegte sich ruhig darauf zu, schwebte
langsam der Kuppelhöhe zu, wußte aber, daß der Lichtschimmer schneller
entschwinden würde, als er ihm folgen konnte. Als er nichts mehr davon sah,
bemühte er sich weiter, in der Dunkelheit vorwärts zu kommen, von einem Impuls
getrieben, den er selbst nicht ganz begriff ...
Epochen glitten vorbei. Riesige Wogen
rollten langsam heran, umhüllten ihn, brachen und endeten an sonnenlosen
Gestaden des Zeitmeeres, sogen ihn hilflos mit sich ins Seichte. Es trieb ihn
von einem Teich zum anderen, in die Vorhöllen der Ewigkeit, Tausende Bilder
seiner selbst reflektierten sich in den gebogenen Spiegeln der Wasserfläche. In
seinen Lungen schien sich ein riesiger Binnensee auszubreiten, wollte bersten,
sein Brustkasten dehnte sich wie der eines Wales, um alle Wasser der Meere in
sich aufzunehmen ...
»Kerans ...«
Er sah das helle Deck, das strahlende
Licht über dem Sonnensegel, in dessen Schatten er lag, und das dunkle Gesicht
des Admirals, der auf seinen Beinen hockte und ihm mit den riesigen Händen den
Brustkasten drückte.
»Strangman ...« Kerans hustete,
Wasser war ihm hochgekommen. Er ließ den Kopf zurücksinken. Das Sonnenlicht
brannte in den Augen. Ringsum starrten ihn Gesichter an – Beatrice, Bodkin,
Matrosen –, mitten darunter das kalkweiße Strangmans. Er sah ihn diabolisch
grinsend an.
»Strangman, Sie haben ...«
Das Grinsen wurde zu einem
gewinnenden Lächeln. »Nein, ich habe nicht. Schieben Sie jetzt nicht mir die
Schuld zu. Dr. Bodkin kann es bestätigen. Ich habe Sie gewarnt, nicht zu tief
zu gehen.«
Der Admiral stand auf, offenbar
betrachtete er seine Aufgabe als beendet. Das Deck brannte wie glühendes Eisen.
Kerans setzte sich mühselig auf, stützte sich auf den Ellenbogen. Wenige Meter
weiter lag der Taucheranzug, leer, schrumpelig, wie
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