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Karneval der Alligatoren

Karneval der Alligatoren

Titel: Karneval der Alligatoren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James G. Ballard
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eine Tierhaut.
    Beatrice schob die anderen beiseite
und hockte sich neben ihn. »Robert, ganz ruhig, gar nicht dran denken.« Sie
legte ihm den Arm um die Schulter und sah Strangman prüfend an. Er stand
grinsend vor Kerans, Hände in die Hüften gestützt.
    »Das Kabel hat sich verfangen ...«
Kerans versuchte den Kopf klarzukriegen; er atmete langsam, beruhigte seine
gequälte Lunge mit kühler Luft. »Es wurde von oben gezogen. Haben Sie nicht
Auftrag gegeben ...«
    Bodkin kam mit Kerans Jacke und
hängte sie ihm um die Schultern. »Lassen Sie's gut sein, Robert. Ich bin
wirklich überzeugt, daß Strangman keine Schuld trifft. Als es passiert war,
sprach er gerade mit Beatrice und mir. Das Kabel hatte sich irgendwo verfangen,
es dürfte wirklich ein Unfall gewesen sein.«
    »Nein, stimmt nicht«, unterbrach ihn
Strangman, »lassen Sie sich nichts einreden. Kerans wird für die Wahrheit
dankbarer sein. Er hat das Kabel selber festgemacht, ganz absichtlich. Und
warum?« Strangman gestikulierte wie ein Zauberer. »Er wollte nämlich Teil der
versunkenen Welt werden.« Er lachte laut auf und schlug sich vor Begeisterung
auf die Schenkel. Kerans stand auf und humpelte zu einem Stuhl. »Und das
Schönste daran ist, daß er nicht weiß, ob ich die Wahrheit erzähle oder nicht.
Ist Ihnen das klar, Bodkin? Sehen Sie sich ihn doch an, er weiß es wirklich
nicht! Wenn das nicht komisch ist!«
    »Strangman!« fuhr ihn Beatrice zornig
an. Zum erstenmal hatte sie ihre Furcht vor ihm überwunden. »Hören Sie doch auf
damit. Es kann doch wirklich ein Unfall gewesen sein.«
    Er zuckte theatralisch mit den
Schultern. »Könnte« , wiederholte er gedehnt, »das stimmt. Um so
interessanter – besonders für Kerans. Habe ich oder habe ich nicht versucht,
mich zu töten? Eine der wenigen existentiellen Absolutheiten, viel wichtiger
als Sein oder Nichtsein.« Er lächelte Kerans leutselig zu. »Ich beneide Sie um
Ihre Aufgabe – das herauszufinden. Wenn Sie es können.«
    Kerans lächelte schwach. Da er sich
so schnell erholte, war ihm wohl nicht viel passiert. »Danke, Strangman, ich
lasse Sie dann darüber wissen.«
     
    Auf der Fahrt ins Ritz saß Kerans in
sich gekehrt im Bug des Bootes. Er dachte an seine Empfindungen im Planetarium,
an die vielschichtigen Assoziationen, die sich ihm dort aufgetan hatten, und
versuchte das gräßliche ›Entweder – Oder‹ loszuwerden, das Strangman so richtig
formuliert hatte. Hatte er unbewußt die Luftzufuhr gedrosselt, oder war es ein
echter Unfall gewesen, oder möglicherweise doch ein Mordversuch Strangmans?
Ohne die zwei Taucher (vielleicht hatte er mit ihnen gerechnet, als er das
Telefonkabel löste?) wüßte er jetzt bereits die Antwort. Warum er überhaupt
getaucht war, war ihm weiterhin unklar. Irgendein merkwürdiger Drang hatte ihn
jedenfalls dazu bewogen, sich Strangman anheimzugeben – es war, als habe er
seinen eigenen Mord arrangiert.
    Während der nächsten Tage blieb alles
so unklar wie zuvor. War die versunkene Welt, der merkwürdige Drang nach dem
Süden, der Hardman gepackt hatte, nichts als ein Selbstmordimpuls, eine
unbewußte Anerkennung der Logik, seiner Rückentwicklung, die letzte neuronische
Synthese des archäopsychischen Nichts? Kerans wollte nicht mit einem weiteren
Rätsel leben, und die Vorstellung von Strangmans wahrer Rolle in seinem Denken
erschreckte ihn mehr und mehr, so daß er versuchte, alle Erinnerungen an den
Vorfall zu unterdrücken. Bodkin und Beatrice erwähnten nie etwas davon, als
wüßten sie, daß eine Antwort auf diese Frage viele andere mysteriöse Rätsel
lösen würde, deren Vorhandensein sie jetzt praktisch am Leben erhielt,
Täuschungen, die sie nur widerwillig aufgeben würden.

10
     
     
    »Kerans ...!«
    Das tiefe Dröhnen des Flugboots kurz
vor dem Landen hatte ihn aufgeweckt. Kerans wälzte sich schlaftrunken und
wandte seinen Kopf auf dem warmen Kissen hin und her. Er betrachtete die
hellgrünen Parallelogramme an der Decke über den Rollos und horchte auf das
Motorengeräusch unten. Dann stand er widerwillig auf. Es war schon halb acht
vorbei, eine Stunde später, als er im vergangenen Monat morgens immer
aufgewacht war, das Sonnenlicht wurde vom Wasser reflektiert und malte helle
Streifen in den verdunkelten Raum.
    Zu seinem Ärger bemerkte er, daß er
vor dem Schlafengehen vergessen hatte, den Ventilator abzustellen. Er fiel
jetzt in den unmöglichsten Situationen in Schlaf, mitten beim Lösen der
Schuhbänder zum Beispiel. Um

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