Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Karneval der Alligatoren

Karneval der Alligatoren

Titel: Karneval der Alligatoren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James G. Ballard
Vom Netzwerk:
Kaffee, und als er sich erholt hatte, zog er die Rollos hoch und
ließ das Licht herein.
    Auf seinem Sessel draußen auf der
Veranda saß eine weiße Echse und sah ihn steinern an – wartete, was passieren
würde.
    Auf der Fahrt über die Lagune
überlegte Kerans, was die Überraschung sein könnte. Hoffentlich war es nicht
irgendeiner von seinen blöden Witzen. Das Rasieren und Umziehen hatten ihn
todmüde gemacht.
    Offensichtlich war man mitten in
großen Vorbereitungen. Das Depotschiff war in der Nähe des Ufers verankert
worden, sein Deck mit Lichtern und Markisen geschmückt, die zwei kleinen Boote
fuhren das Ufer auf und ab und trieben sämtliche Alligatoren in die mittlere
Lagune.
    Kerans wies auf einen riesigen Kaiman,
der inmitten einer Umzingelung von Bootshaken wild um sich schlug, und sagte
zum Großen Cäsar: »Was wird heute nacht geboten – Krokodilsbraten?«
    Der bucklige Mulatte zuckte mit den
Schultern. »Strang' hat heute was Großes vor, ganz tolle Sache. Warten Sie's
ab.«
    Kerans stand auf und lehnte sich über
die Brüstung. »Sagen Sie mal, wie lange kennen Sie den Käptn schon?«
    »Riesig lange, Herr Kerans. Zehn
Jahr, vielleicht zwanzig.«
    »Ist schon ein komischer Kerl«, sagte
Kerans. »Seine Launen wechseln so plötzlich. Ist Ihnen doch sicher auch schon
aufgefallen. Manchmal erschreckt er mich.«
    Der große Mulatte lächelte
geheimnisvoll.
    »Da haben Sie ganz recht, Herr
Kerans.« Er kicherte.
    »Ganz recht.«
    Ehe Kerans ihn weiter ausfragen
konnte, brüllte es aus dem Megaphon zu ihnen herüber.
     
    Strangman hieß seine Gäste persönlich
am Fallreep willkommen. Er war bester Laune und wirkte amüsant und charmant.
Beatrice machte er Komplimente über ihr gutes Aussehen: Sie trug ein langes
Brokatkleid, die Augenlider hatte sie türkis geschminkt – sie sah aus wie ein
Paradiesvogel. Sogar Bodkin hatte sich feingemacht: Der Bart war ab, und er
trug eine anständige Leinenjacke, um den Hals hatte er ein Stück Crêpestoff
gewunden, als Ersatz für die obligate schwarze Krawatte. Trotz ihrer Aufmachung
wirkten jedoch beide ebenso wie Kerans, abwesend und nicht ganz dazugehörig,
und beteiligten sich nur rein automatisch an den Tischgesprächen.
    Strangman fiel das gar nicht auf, er
war viel zu aufgeräumt um sich darüber Gedanken zu machen. Was immer sein
Beweggründe für die Überraschung waren, er hatte sich jedenfalls große Mühe mit
den Vorbereitungen gemacht. Über das Aussichtsdeck hatte er eine blütenweiße
Markise spannen lassen, die Vorderseite hochgezogen, um freie Sicht über die
Lagune und auf den Himmel zu geben. Ein großer runder Eßtisch stand an der
Reling, niedrige orientalische Diwans davor, mit spiralenförmigen Gold- und
Elfenbeinverzierungen. Großartiges, allerdings nicht zusammenpassendes Gold-
und Silbergeschirr stand auf der Tafel, zumeist riesige Stücke – die
Fingerschalen waren so groß wie Waschmuscheln.
    Strangman hatte sein Schatzhaus
drunten geplündert – einige geschwärzte Bronzestatuen standen hinter dem Tisch,
als Träger von Frucht- und Blumenschalen, und ein riesiges Bild aus der
Tintoretto-Schule lehnte gegen die Rauchfänge und verdeckte die Ladeluken – es
hing über dem Tisch wie ein Wandgemälde. »Die Hochzeit König Xerxes' mit
Esther« war darauf abgebildet, aber die Darstellung dieses antiken Themas in venezianischer
Lagunenlandschaft mit den Palazzi des Canale Grande und Trachten und Dekor des
sechzehnten Jahrhunderts, ließ es eher wie eine Hochzeit von Neptun und Minerva
erscheinen. Xerxes, ältlich, mit Adlernase, gekleidet wie ein Doge oder
Großadmiral, schien von seiner schwarzhaarigen Esther bereits ganz gezähmt zu
sein – die übrigens Beatrice ein wenig ähnelte. Kerans betrachtete die
Gesichter der Gäste auf dem Bild und entdeckte plötzlich ein zweites bekanntes
Profil – nämlich das Strangmans –, und zwar unter den verbissen lächelnden
Mitgliedern des Rates der Zehn; als er sich dem Gesicht näherte, verschwand die
Ähnlichkeit plötzlich.
    Die Hochzeit auf dem Bild fand auf
einer Gallione vor dem Dogenpalast statt, die reichen Rokokoverzierungen seiner
Takelage gingen unvermittelt in die Stahltrossen und Streben des Depotschiffes
über. Auch die Mannschaft und der Admiral hätten geradewegs aus dem Bild
gestiegen sein können, so ähnlich sahen sie den reichgeschmückten gemalten
Sklaven und ihrem Negerkapitän.
    Kerans nippte an seinem Cocktail und
fragte dann Beatrice: »Erkennst du dich dort auf

Weitere Kostenlose Bücher